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Mehr Behandlungszeit mit „Physiotherapeutischer Komplexbehandlung in der Palliativmedizin“

Wenn sich das Leben dem Ende neigt, ticken die Uhren anders. Das erfährt der Essener Physiotherapeut Benedikt Pokutta jedes Mal, wenn er zu Sterbenden fährt, um ihre Beschwerden mittels Physiotherapie zu lindern: „Es ist ein ganz anderes, für mich persönlich schöneres Arbeiten“, steht für ihn fest – und er freut sich, dass er für die Therapie nun noch mehr Zeit und Behandlungsspielraum bekommen kann.

Seit Beginn des Jahres können Ärzte Menschen in der letzten Lebensphase die „Physiotherapeutische Komplexbehandlung in der Palliativmedizin“ verordnen. Diese Verordnung bietet 60 Minuten Zeit, in denen der Therapeut selbst tagesaktuell entscheiden darf, welche Behandlung dem Patienten am meisten nützt. „Bislang wird diese Art der Verordnung aber noch viel zu selten ausgestellt“, bedauert Pokutta.

Stattdessen bekämen Palliativpatienten meistens „normale“ Verordnungen, die eine Behandlungszeit von durchschnittlich 20 Minuten abdecken, erklärt Ute Repschläger, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK). „Das ist natürlich auch schon ein sehr wertvoller Beitrag, um die Lebensqualität der Palliativpatienten zu verbessern. Mit der neuen Leistungsposition kann aber zumindest Privatpatienten schon jetzt viel mehr Zeit gewidmet werden“, wirbt sie für die neue Komplexbehandlung.

Derzeit wird Palliativpatienten oftmals Manuelle Lymphdrainage oder auch klassische Massage verordnet. „Aber nicht nur“, betont Pokutta. Denn auch die Mobilisation mittels Krankengymnastik dürfe nicht unterschätzt werden. Das klinge im ersten Moment vielleicht komisch, sei aber genau deshalb so wichtig für das Selbstwertgefühl der Patienten. „Für Palliativpatienten ist es enorm wichtig, dass sie sich nicht ‚abgeschrieben‘ fühlen. Die allermeisten freuen sich, wenn noch jemand etwas von ihnen fordert – natürlich immer in dem Maß, in dem der Patient es noch gut ohne Überforderung leisten kann“, verdeutlicht das IFK-Mitglied.

Das bestätigt auch Martina Reykowski, Pflegedienstleiterin des Anna-Katharina-Hospizes in Dülmen. „Neben dem hohen therapeutischen Nutzen gibt Physiotherapie unseren Gästen hier im Hospiz auch das Gefühl der persönlichen Zuwendung und die Sicherheit, dass ihre Probleme ernst genommen werden. Wir Pfleger mobilisieren die Gäste auch. Aber wenn jemand von außen ins Haus kommt, hat das noch einmal einen anderen Stellenwert.“ Gefühlt 80 Prozent der Gäste bekomme Physiotherapie. „Das macht auf jeden Fall Sinn und hilft auch“, ist sich Reykowski sicher.

Als Pflegedienstleiterin ist es ihr aber auch wichtig, dass nicht zu viel Unruhe ins Haus kommt. Wechselnde Gesichter seien für viele Palliativpatienten eine Herausforderung. Deshalb arbeitet das Anna-Katharina-Hospiz in Dülmen schon vielen seit Jahren mit einer Praxis aus dem Ort zusammen. Langjährige und verlässliche Zusammenarbeit habe einen hohen Stellenwert. „Einerseits müssen Verordnungen oft kurzfristig bedient werden. Andererseits können geplante Termine häufig wegen tagesaktueller Geschehnisse nicht eingehalten werden“, erläutert sie. Zudem sei viel Flexibilität erforderlich, weil die verordnete Anwendung nicht immer durchgeführt werden kann. „Wir müssen einfach jeden Tag neu gucken, was Sinn macht.“

Diese Erfahrung hat auch Pokutta gemacht. Der selbstständige Physiotherapeut arbeitet seit inzwischen 13 Jahren mit Palliativpatienten. Krebserkrankungen im privaten Umfeld sorgten dafür, dass er sich zunehmend mit dem Thema beschäftigte. Inzwischen mache die Arbeit mit Palliativpatienten einen großen Teil im Praxisalltag des Essener Therapiezentrums Pokutta aus. Um die geforderte Flexibilität organisatorisch bewerkstelligen zu können, hat der selbstständige Physiotherapeut extra zwei feste Tage für Therapieeinheiten im Hospiz und bei Sterbenden, die zuhause gepflegt werden, eingeplant. Zusätzlich gibt es einen Springertag. „Das ist notwendig, weil im Palliativbereich ja nicht mehr weit im Voraus geplant werden kann. Manche Patienten behandele ich einige Monate, manche aber eben auch nur noch ein einziges Mal. Da ist viel Flexibilität erforderlich – auch in der Terminplanung.“

Ginge es nach ihm, würde er künftig gern häufiger die „Physiotherapeutische Komplexbehandlung“ einplanen: „In 60 Minuten könnte ich noch besser auf die Patienten eingehen, mir einfach mehr Zeit für die Behandlung nehmen.“ Außerdem sei er dann nicht mehr an die Therapieform gebunden, die auf der Verordnung steht. Bei der Komplexbehandlung kann er frei entscheiden, was notwendig ist – ob Atemtherapie, Lymphdrainage, Massage oder eben Mobilisation. Er hoffe daher, dass die neue Position noch bekannter und künftig häufiger verordnet werde.

Dem stimmt auch Repschläger zu – und hat noch ein weiteres Ziel. „Wir als Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten haben uns lange für die neue Leistungsposition eingesetzt und freuen uns sehr, dass sie nun zumindest für Privatpatienten verordnet werden kann. Doch das kann nur der erste Schritt sein. Wir fordern, dass die Position auch in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wird.“

Der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) hat alle wichtigen Details zur „Physiotherapeutischen Komplexbehandlung in der Palliativmedizin“ in einer Kurzinformation zusammengefasst. Diese steht hier zum Download zur Verfügung. Fragen beantworten zudem die Mitarbeiter der IFK-Geschäftsstelle telefonisch unter Tel.: 0234 977 45-333 oder per E-Mail: ifk@ifk.de.

 

 

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