Neue Vergütungsverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband gestalten sich zäh
Die zum 01. August 2021 in Kraft getretene „Vergütungsvereinbarung“ zum Bundesrahmenvertrag hat eine Mindestlaufzeit bis zum 31. Juli 2022. Rein formal könnte damit ab dem 01. August 2022 eine neue Vergütungsvereinbarung für die Physiotherapie im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft treten. Mit dieser Meldung informieren die Physiotherapieverbände gemeinsam über den aktuellen Stand.
Fristgerecht gekündigt, zu konstruktiven Verhandlungen bereit, steiniger Weg
Die Physiotherapieverbände IFK, PHYSIO-DEUTSCHLAND, VDB und VPT haben die Schwerpunkte in den Verhandlungen klar definiert.
Für die Physiotherapieverbände geht es im Wesentlichen um zwei Punkte bei den Verhandlungen: Zum einen soll besprochen werden, ob die Krankenkassen bereit sind, auf dem Verhandlungsweg Korrekturen an den von der Schiedsstelle festgesetzten Kriterien für die Ermittlung der Vergütungserhöhungen vorzunehmen. Zum anderen geht es um den Ausgleich der gestiegenen Personal-, Sach- und Raumkosten für den Zeitraum vom 01. August 2021 bis 31. Juli 2022. Denn: Es ist gesetzlich geregelt, dass die Vergütung nicht wie beispielsweise bei Verhandlungen der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände für die Zukunft, sondern rückwirkend für die Vergangenheit verhandelt wird.
Am 21. Juni 2022 fand der erste offizielle Verhandlungstermin statt. Über Details aus den Verhandlungsrunden wurde zunächst Stillschweigen verabredet. Doch blicken wir noch einmal zurück: Die Verbände haben die Vereinbarung zur Vergütung fristgerecht gekündigt und den GKV-Spitzenverband zu Verhandlungen aufgefordert. Mitte Mai 2022 kam es zu einem ersten Sondierungsgespräch mit dem GKV-Spitzenverband, in dem sich beide Verhandlungsseiten über die Schwerpunkte in den anstehenden Verhandlungen ausgetauscht haben.
Zur Erinnerung: Die Vergütungserhöhungen aus dem Jahr 2021 basieren auf einem Schiedsspruch und nicht auf einem Verhandlungsergebnis der Vertragspartner. Gegen Teile des Schiedsspruchs laufen Klagen vor dem Landessozialgericht beziehungsweise aktuell Sozialgericht Berlin Brandenburg. Die Physiotherapieverbände haben gegen diverse vom Schiedsamt festgelegte Kriterien geklagt, weil die aus dieser Festlegung resultierende Vergütungserhöhung weder als leistungsgerecht, noch als wirtschaftlich anzusehen ist. Zu nennen sind hier beispielhaft die von der Schiedsstelle festgesetzte
- Gewichtung der Personal-, Sach- und Raumkosten an den Gesamtkosten einer Praxis,
- Berücksichtigung der Personalkostenentwicklung allein am TVöD,
- absolute Höhe der Raum- und Sachkosten einer Durchschnittspraxis,
- durchschnittliche Anzahl von therapeutischen MitarbeiterInnen und deren Jahresarbeitsleistungszeit,
- notwendige Anzahl an Verwaltungskräften/Assistenten.
Die Festsetzungen der Schiedsstelle führten zwar zu einer deutlichen Anpassung der Vergütung in Höhe von insgesamt 14,09 Prozent. Aus Sicht der Berufsverbände ist aber damit der gesetzliche Auftrag noch nicht erfüllt, eine leistungsgerechte und wirtschaftliche Vergütung der Praxen sicherzustellen. Doch genau das war die Maßgabe des Gesetzgebers im Terminservice- und Versorgungsgesetz für die Verhandlungen zwischen den Verbänden und dem GKV-Spitzenverband zur Sicherstellung der therapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen. Die Festsetzungen der Schiedsstelle bilden jedoch nicht die Praxiswirklichkeit ab, die Schiedsstelle wollte unter anderem die finanzielle Belastbarkeit der Krankenkassen in der Pandemie nicht überstrapazieren.
Ohne nennenswerte Erhöhung der Vergütungen liegt die Last wieder bei den Physiotherapiepraxen
Bis zum Ende der Klageverfahren kann es noch einige Jahre dauern. So lange können die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in der ambulanten Versorgung aber nicht auf eine leistungsgerechte und wirtschaftliche Vergütung warten.
Den Physiotherapieverbänden ist die derzeitige finanzielle Situation der Kostenträger bewusst. Allerdings hat der Gesetzgeber nicht ohne Grund – Stichwort Fachkräftemangel – eine wirtschaftliche und leistungsgerechte Vergütung für die Physiotherapie gefordert. Hieran gilt es, bei den Verhandlungen konstruktiv anzuknüpfen – unabhängig davon, wie lange die Sozialgerichte für eine Entscheidung über Richtigkeit der von der Schiedsstelle festgesetzten Parameter benötigen. Ziel der diesjährigen Verhandlungen ist daher im ersten Schritt – auf Basis des letzten Schiedsspruchs – einen finanziellen Ausgleich für die seit dem 01. August 2021 gestiegenen Personal-, Sach- und Raumkosten zu erreichen.
In Hinblick auf die bedarfsorientierte therapeutische Versorgung muss zudem erneut über das Thema der Arbeitsverdichtung, hier mit Blick auf eine Flexibilisierung der Behandlungszeiten, verhandelt werden. Dazu gab es 2021 zwar bereits einen inhaltlichen Konsens bei den letzten Verhandlungen vor dem Schiedsverfahren, aber dieser scheiterte in der letzten Sekunde an den damit verbundenen finanziellen Auswirkungen für die Kassen. Hier gilt es, im Sinne einer besseren Versorgung anzuknüpfen und nach neuen Lösungen zu suchen.
Keine Bewegung der Kostenträger beim zweiten Verhandlungstermin
Der zweite Verhandlungstermin fand am 04. Juli 2022 als Präsenzsitzung in Berlin statt. Die Vertreterinnen und Vertreter der Physiotherapieverbände haben ihre Argumente und Verhandlungsforderungen vorgetragen. Der GKV-Spitzenverband signalisierte allerdings keinerlei Spielraum und berief sich dabei auf die Festlegungen der Schiedsstelle aus dem letzten Schiedsspruch. Nach Auffassung des GKV-Spitzenverbandes sind die gesetzlichen Krankenkassen lediglich zu einer Anpassung der seit dem 01. August 2021 nachweislich gestiegenen Personal-, Raum- und Sachkosten verpflichtet. Auf der Basis der von der Schiedsstelle festgesetzten Parameter entspräche die daraus resultierende Anpassung einer Vergütungssteigerung in Höhe von 2,38 Prozent.
Aus Sicht der Physiotherapieverbände ist eine Vergütungssteigerung in dieser Höhe weder kostendeckend noch würde sich damit die wirtschaftliche Situation in den Physiotherapiepraxen verbessern. Im Gegenteil: Da der Ausgleich der Kostensteigerungen gesetzlich immer erst rückwirkend erfolgt, gehen wieder einmal Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber bei den rasant steigenden Kosten – gerade im Bereich Energie – massiv in Vorleistung. Gerade die vielen kleineren und mittelgroßen Praxen werden mit Blick auf die aktuell stark steigendenden Energie-, Personal- und Sachkosten in Kürze an ihre finanziellen Grenzen stoßen. Das ist weder im Sinne der Sicherstellung der therapeutischen Versorgung noch im Sinne der mehr als 160.000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in der ambulanten Versorgung.
Die Physiotherapieverbände werden das Angebot des GKV-Spitzenverbandes nun zunächst in ihren jeweiligen Gremien beraten. Danach stimmen die Verbände die nächsten Schritte gegenüber dem GKV-Spitzenverband gemeinsam ab.