Präventionsgesetz 2015
Vierter Versuch – Präventionsgesetz 2015
IFK-Geschäftsführer Dr. Frank Dudda bewertet das anstehende neue Präventionsgesetz.
1. Allgemeine Ausrichtung
Als Ziel des Gesetzes wird formuliert, die Gesundheitsförderung und Prävention insbesondere in den Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger zu stärken, die Leistungen der Krankenkassen zur Früherkennung von Krankheiten weiterzuentwickeln und das Zusammenwirken von betrieblicher Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz zu verbessern. Zu diesem Zweck sollen zukünftig 490 Millionen Euro von den Krankenkassen (neu: 7 Euro je Versicherter, statt bislang: 3,09 Euro) und 21 Millionen Euro von den Pflegekassen für die Prävention investiert werden. Das wäre eine große Steigerung zum Status quo, allein bei den Krankenkassen um 130 Prozent.
140 Millionen Euro sollen dabei in die Präventionsarbeit von Kindergärten, Schulen und anderen Einrichtungen fließen. Derselbe Betrag ist für die betriebliche Gesundheitsförderung reserviert. Die übrigen rund 200 Millionen Euro kann die Krankenkasse weiterhin für eigene Präventionsangebote zumeist zur individuellen Verhaltensprävention verwenden. Kommt ein Versicherter etwa im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen mit Ärzten in Kontakt, so hat er Anspruch auf eine präventionsorientierte Beratung und eine ärztliche Präventionsempfehlung (Ankreuzfeld auf der Verordnung). Das Nähere dazu regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Gesundheitsuntersuchungs-Richtlinien. Ein genereller Arztvorbehalt existiert jedoch nicht.
2. Das Gesetz in ausgewählten Details
2.1 § 20 Abs. 2 SGB V – Primäre Prävention
Zunächst legt der Spitzenverband Bund den Krankenkassen einheitliche Handlungsfelder und Kriterien für die Leistungsabgabe, insbesondere hinsichtlich Bedarf, Zielgruppe, Zugangswege, Inhalt, Methodik, Qualität, wissenschaftlicher Evaluation und der Messung der Erreichung der mit den Leistungen verfolgten Ziele fest. Er bestimmt außerdem die Anforderungen und ein einheitliches Verfahren für die Zertifizierung von Leistungsangeboten durch die Krankenkassen. Bei der Festlegung der Ziele hat er insbesondere ärztlichen und gesundheitswissenschaftlichen Sachverstand einzubeziehen.
Kritik des IFK
Der Gesetzgeber zählt in § 20 Abs. 2 SGB V ein breites Feld von Sachverständigen auf, die bei der Entwicklung der Handlungsfelder einzubeziehen sind. Es fehlt jedoch der explizite Hinweis auf die Einbeziehung des (physio-) therapeutischen Sachverstands. Das ist nachzubessern.
2.2 § 20 Abs. 5 SGB V – Individuelle Verhaltensprävention
Die Krankenkasse kann eine Leistung zur individuellen Verhältnisprävention erbringen, wenn diese etwa von einem mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe beauftragten Dritten in ihrem Namen zertifiziert ist. Bei der Entscheidung über eine Leistung berücksichtigt die Krankenkasse eine ärztliche Präventionsempfehlung.
Anmerkung des IFK
Diese Vorschrift schafft zunächst nachträglich eine Rechtsgrundlage für das Tätigwerden der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP). Die Durchführung der Verfahren bei der ZPP ist häufig Anlass für Kritik. Der IFK steht daher in ständigem Kontakt mit der ZPP und hat auch schon einige Verbesserungen des Verfahrens erreicht. Aus Satz 2 des Abs. 5 können ungeübte Gesetzesleser zudem den Schluss ziehen, es bedürfe vor jeder Abgabe (individueller) Präventionsleistungen der ärztlichen Empfehlung. Unmissverständlich macht die Gesetzesbegründung zu Nummer 4 (§ 20 Abs. 5) daher klar, dass es keinen allgemeinen Arztvorbehalt dieser Leistungen gibt. Auch ohne ärztliche Präventionsempfehlung können daher auch Präventionsleistungen erbracht werden. Diese Aussage ist erheblich.
Ein allgemeiner Arztvorbehalt in der Prävention wäre auch aus Sicht des IFK absolut kontraproduktiv und nicht akzeptabel. Von vornherein sollten daher alle Gedankenspiele zu einer verbindlichen Arztempfehlung ad acta gelegt werden. Bislang spricht der Kabinettsentwurf hier jedoch eine erfreulich deutliche Sprache.
2.3 § 20 Abs. 6 SGB V – Ausgaben
§ 20 Abs. 6 regelt die Finanzierung der Ausgaben von 7 Euro je Versichertem ab 2016 durch die Krankenkassen.
Kritik des IFK
Unverständlich an dem Kabinettsentwurf ist, dass Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert wird. Die Finanzierung jedoch verpflichtend allein bei den Krankenkassen verbleibt (Ausnahme: Pflegekassen – siehe später). Bund, Länder, Kommunen, Träger der Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie private Versicherer bleiben außen vor. Das ist nicht nachvollziehbar.
2.4 § 20a Abs. 3 SGB V – Prävention in Lebenswelten
Nach dieser Vorschrift hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ab dem Jahr 2016 mit der Durchführung von kassenübergreifenden Leistungen zur Prävention in Lebenswelten für in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte, insbesondere in Kindertageseinrichtungen, in sonstigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in Schulen sowie in den Lebenswelten älterer Menschen zu beauftragen. Die BZgA erhält dafür ca. 35 Millionen Euro jährlich.
Kritik des IFK
So nachvollziehbar die Förderung der Versicherten in den Lebenswelten wie Kindertageseinrichtungen oder Schulen ist, so unverständlich ist die Entwicklung derartiger Programme durch das BZgA. Dort ist nicht im Ansatz erkennbar, woher der fachliche Sachverstand kommen soll, etwa physiotherapeutische Schulkonzepte wie die „Bewegungsweltreise“ beurteilen zu können. Die BZgA hat ihre Kernkompetenz bei der Ausarbeitung von Gesundheitskampagnen bewiesen. Ein Sachverstand bei der Entwicklung therapeutischer Konzepte findet jedoch keinen Nachweis. Insofern ist dieser Ansatz im Gesetz zu streichen und die vorgesehenen 35 Millionen Euro zur Leistungserbringung zu verwenden.
2.5 § 20b Abs. 1, 3 und 4 – Betriebliche Gesundheitsförderung
Der neue § 20b regelt in Abs. 1 zunächst, dass Leistungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung nur dann noch erbracht werden können, wenn deren Qualität von einer Krankenkasse oder von einem beauftragten Dritten zertifiziert wurde. Abs. 3 sieht darüber hinaus das Angebot regionaler Koordinierungsstellen für betriebliche Gesundheitsförderung vor. Diese dienen der Beratung und Unterstützung der Unternehmen und sollen von den Krankenkassen in Form von Arbeitsgemeinschaften gemeinsam betrieben werden.
In Abs. 4 wird schließlich ein finanzieller Anreiz für Krankenkassen geschaffen, die vorgegebenen Höchstbeträge für betriebliche Gesundheitsförderung auch auszuschöpfen, denn nicht verauslagte Mittel müssen dem Spitzenverband Bund den Krankenkassen zur Weiterverteilung zur Verfügung gestellt werden.
2.6 § 20d SGB V – Nationale Präventionsstrategie
Die Krankenkassen haben gemeinsam mit den Trägern der Renten-, Unfall und Pflegeversicherung eine nationale Präventionsstrategie zu entwickeln und im Rahmen einer nationalen Präventionskonferenz umzusetzen und fortzuschreiben. Wesentliches Element der Strategie ist die Entwicklung und Vereinbarung bundeseinheitlicher Rahmenempfehlungen, die auf der Länderebene durch Landesrahmenvereinbarungen umgesetzt werden.
Kritik des IFK
Das vorgesehene Konstrukt mit Rahmenempfehlungen und Rahmenvereinbarung ist sehr aufwändig und bürokratisch und wird einen jahrelangen Prozess bedingen, der letztlich einer effektiven Präventionsförderung im Weg steht. Zudem werden nun doch noch die Träger anderer Sozialversicherungen eingebunden, ohne dass sie jedoch Finanzierungsbeiträge liefern müssen (siehe oben).
2.7 § 20e SGV V – Nationale Präventionskonferenz
Vorgesehen ist die nationale Präventionskonferenz als Arbeitsgemeinschaft der gesetzlichen Spitzenorganisationen der Leistungsträger. Teilnehmen kann auch der Verband der privaten Krankenversicherungsunternehmen, wenn er entsprechende finanzielle Mittel beisteuert. Die Geschäfte der Konferenz führt die BZgA. Die nationale Präventionskonferenz wird durch ein Präventionsforum beraten, das in der Regel einmal jährlich stattfindet. Die Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung wird beauftragt, dieses Forum durchzuführen. Teilnehmen sollen Vertreter der für die Gesundheitsförderung und Prävention maßgeblichen Organisationen.
Kritik des IFK
Die Physiotherapieverbände bzw. ihr Dachverband werden nicht explizit als Teilnehmer des Präventionsforums benannt. Vielmehr soll die Bestimmung der Teilnehmer des Präventionsforums der nationalen Präventionskonferenz obliegen. Zu fordern ist, dass zumindest die Mitgliedsverbände der Bundesvereinigung für Prävention zugleich auch Mitglied des Präventionsforums werden. Ansonsten droht die Gefahr der vollständigen Ausblendung physiotherapeutischen Sachverstands.
2.8 § 65a SGB V – Bonus
Zukünftig ist in der Regel jede Krankenkasse verpflichtet, in ihrer Satzung Boni als finanzielle Anreize für gesundheitsbewusstes Verhalten vorzusehen. Das gilt auch für Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Schließlich wird geregelt, dass Boni nur noch als Geldleistungen und nicht mehr als Sachprämien gewährt werden dürfen.
Anmerkung des IFK
Während die Gewährung von Boni an Ärzte für das Unterlassen von Heilmittelverordnungen nicht akzeptabel ist, kann das Gewähren von Boni zur Förderung eines gesundheitsbewussten Lebensstils Wirkung entfalten und ist daher zu begrüßen.
3. Die Änderung des Elften Sozialgesetzbuchs
§ 5 SGB XI – Aufwand
Nach § 5 SGB XI sind die Pflegekassen gehalten, Leistungen zur Prävention in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen zu erbringen. Dafür haben sie künftig 0,30 Euro je Versichertem aufzuwenden, insgesamt mithin ca. 21 Millionen Euro. Auch hier gilt: Nicht verausgabte Mittel müssen im Folgejahr dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen zur Verfügung gestellt werden.
4. Fazit
Das Präventionsgesetz 2015 enthält viele interessante Aspekte. Insbesondere die Forderung des Settingansatzes verdient grundsätzlich Unterstützung. Mit seinen Konzepten zur betrieblichen Gesundheitsförderung sowie der Kinder-Bewegungsweltreise ist hier der IFK bereits gut aufgestellt. Vor allem die Ausweisung der Förderung der betrieblichen Gesundheitsförderung wird IFK-Praxen daher gute Chancen der Neuausrichtung eröffnen. Das gilt vor allem mit Blick auf das IFK-Premium-Konzept „Betrieb in Bewegung“, für das unser Kooperationspartner, die größte deutsche Krankenkasse Barmer GEK, nunmehr auch in die Vermarktung eingetreten ist.
Skeptisch stimmt jedoch der bürokratische Überbau des Gesetzes. Nach dem Motto „Darf es noch ein bisschen mehr sein“ werden mit nationaler Präventionsstrategie, nationaler Präventionskonferenz, nationalem Präventionsforum, bundesweiten Rahmenempfehlungen und landesweiten Rahmenvereinbarungen neue Säulen der Bürokratie eingezogen, die die Erbringung sinnvoller präventiver Leistungen immer komplexer machen und verzögern werden. Damit ist keinem Versicherten und Leistungserbringer gedient. Vor allem jedoch die Einbeziehung der BZgA in die Programmentwicklung mit einem Volumen von 35 Millionen Euro muss Widerstand hervorrufen. Dieses Geld wäre sicher viel besser für die Leistungsabgabe als für die Intensivierung des Verwaltungsaufwands investiert.