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IFK-Jubiläumssymposium: „Digitalisierung heißt Unterstützung, nicht Ersatz“

Das gemeinsame Ziel ist klar definiert: Die Digitalisierung kann und soll dabei helfen, die einzelnen Gesundheitsberufe besser zu vernetzen. Wenn alle an einem Therapieprozess beteiligten Gesundheitsberufe Zugriff auf die relevanten Daten in der elektronischen Patientenakte erhalten, Konsile digital möglich sind und Physiotherapeuten selbstständig zum Beispiel passgenaue therapieunterstützende Apps verordnen dürfen, kann die Behandlung noch zielgenauer und ganzheitlicher erfolgen. Ist das realistisch? Und welche Schritte sind bis dahin noch zu unternehmen? Darum drehte sich die Podiumsdiskussion „Digitalisierung neu denken – sind wir dabei?“ während des IFK-Jubiläumssymposiums.

 

 

„Ich hätte kein Problem damit, wenn Physiotherapeuten eine App empfehlen und dann auch verordnen können“, positionierte sich Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, klar dafür, dass Physiotherapeuten zukünftig auch selbst digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) verordnen dürfen. Wichtig sei für ihn allerdings, dass alle auf einem Stand seien und voneinander wüssten. Es dürfe nicht dazu kommen, dass sich neben der ärztlichen Behandlung eine physiotherapeutische Behandlung etabliere, von der die Ärzte nichts mehr wissen.

 

 

Hier kommt die elektronische Patientenakte ins Spiel, in der alle relevanten Daten abgespeichert werden sollen. Der Patient allein entscheidet, wer auch tatsächlich auf welche Daten zugreifen darf. Derzeit haben Physiotherapeuten allerdings noch keinen Zugriff auf die elektronische Patientenakte. Eines der Hindernisse ist, dass Physiotherapeuten noch keinen elektronischen Heilberufsausweis besitzen. Den benötigen sie aber, um ab dem 1. Juli 2021 auf die sogenannte Telematik-Infrastruktur zugreifen zu können: die Datenautobahn, über die künftig alle digitalen Patienteninformationen abgerufen werden können.

 

 

Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der gematik GmbH, hatte hier gute Nachrichten im Gepäck: „Wir legen im Januar los“, versprach er, und meinte damit die Ausgabe der elektronischen Heilberufsausweise. Technisch und organisatorisch sei alles vorbereitet. Es würden nur noch Unterschriften aus einigen Landesministerien fehlen, die seien aber bereits fest zugesagt worden. „Im Prinzip sind wir ‚ready to go‘, die Physiotherapeuten jetzt anzubinden!“, wiederholte er.

 

 

Ute Repschläger, IFK-Vorstandsvorsitzende, freute sich über diese Information, kritisierte jedoch, dass bislang nur wenige konkrete Anwendungen für Physiotherapeuten zur Verfügung stehen würden. Dadurch sei es noch schwierig, die Physiotherapeuten davon zu überzeugen, sich um einen elektronischen Heilberufsausweis zu bemühen – zumal dieser erst im Jahr 2026 für Physiotherapeuten verpflichtend sein wird, wenn die elektronische Verordnung regelhaft eingeführt wird. Repschläger fürchtete, dass auch erst dann verstärkt Anwendungen für Physiotherapeuten entwickelt werden. „Wir würden das Thema Digitalisierung gern mehr pushen, aber wir brauchen dann auch sinnvolle Anwendungen für die Therapeuten“, forderte sie.

 

 

Prof. Dr. David Matusiewicz, FOM Hochschule für Oekonomie & Management, legte Wert darauf, die Digitalisierung nicht als Herausforderung, sondern als Chance zu begreifen. Er sieht die Digitalisierung der Zukunft als „verlängerten Arm der Physiotherapie“. In seiner Idealvorstellung befundet der Physiotherapeut den Patienten in Präsenzbehandlungen und verordnet eine geeignete App, damit der Patient therapieunterstützend zuhause trainieren kann. Mithilfe eines Videos in der App kann der Patient kontrollieren, ob er die Übungen richtig ausführt. Außerdem sieht der Therapeut, wie oft der Patient mithilfe der App trainiert hat. Beim nächsten Behandlungstermin bewertet der Physiotherapeut die Situation neu. Gleichzeitig würden durch die Vielzahl an digitalen Daten neue, ganzheitliche Zusammenhänge sichtbar. „Das wird die Physiotherapie auf ein neues Level heben“, war er sich sicher.

 

 

Auch Repschläger konnte sich diese Art der App-Nutzung gut vorstellen. „Digitalisierung heißt Unterstützung, nicht Ersatz“, betonte sie. Am Ende sei es unerlässlich, dass der Therapeut das gesamte Krankheitsbild im Blick behalte und festlege, welche Übungen ein Patient in welcher Intensität ausführen sollte.

 

 

Dr. Reinhardt pflichtete ihr in diesem Punkt bei. „Wir brauchen überhaupt keine Sorge zu haben, weder als Physiotherapeut noch als Arzt ersetzt zu werden“, war für ihn klar. Der Mensch besitze umfassende, integrative Wahrnehmungsqualitäten, die nicht so schnell durch digitale, binäre Techniken abgelöst werden könnten. Die Digitalisierung baue auf den vorhandenen Erfahrungswerten des Behandlers auf und könne für die weitere Behandlung einen zusätzlichen qualitativen Sprung bedeuten.

 

 

Auch Laura Wamprecht, Flying Health, sah für die Digitalisierung in der Physiotherapie viele Möglichkeiten. Im Bereich „Bewegung und Körper“, in dem auch Physiotherapeuten agieren, seien zahlreiche Apps denkbar. Wichtig war ihr aber zu betonen, dass Digitalisierung mehr als nur das Herunterladen einer App sei. Es gehe vielmehr darum, Synergieeffekte zwischen den einzelnen Gesundheitsberufen zu nutzen, um den Patienten bestmöglich zu versorgen. Das funktioniere nur, wenn alle Akteure gut miteinander vernetzt seien. Sie warb daher dafür, Digitalisierung grundsätzlich in einem größeren Kontext zu sehen. „Wir sind in einem Markt, in dem jeder den anderen braucht“, betonte sie. Mit der Digitalisierung werde dieser Raum nun neu gestaltet.

 

 

Die vollständige Podiumsdiskussion ist im IFK-Youtube-Kanal abrufbar.

 

 

In den kommenden Tagen werden ausführliche Berichte zu den weiteren Programmpunkten folgen.

 

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