IFK-Tag der Wissenschaft 2023
Physio innovativ: wissenschaftlich und digital
Der diesjährige IFK-Tag der Wissenschaft stand unter dem Motto „Physio innovativ: wissenschaftlich und digital“. An der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH) erwartete die Teilnehmer in diesem Jahr ein spannendes Programm mit wegweisenden Vorträgen darüber, wo Digitalisierung und Innovation bereits gelebte Praxis sind und wie diese die Versorgung von Patienten verbessern.
„Es ist gute Tradition, dass wir unseren Wissenschaftstag im Wechsel an verschiedenen Hochschulen in Deutschland abhalten. Daher freuen wir uns immer, wenn Hochschulen uns dazu einladen“, bedankte sich die IFK-Vorstandsvorsitzende Ute Repschläger bei Prof. Klaudia Winkler, Vizepräsidentin der OTH, und Prof. Andrea Pfingsten, Professorin für Physiotherapie an der OTH. „Unser Thema dieses Jahr dreht sich um Digitalisierung und Innovationen in der Physiotherapie. Der IFK begleitet die Entwicklungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen schon seit Jahren genau. Einen besonderen Blick haben wir dabei auf die Ziele, die die Politik in diesem Bereich verfolgt. Mit zahlreichen Gesetzesinitiativen hat man sich in der jüngeren Vergangenheit auf den Weg gemacht, die Mammutaufgabe ‚Digitalisierung‘ im deutschen Gesundheitswesen zu bewältigen“, sagte Repschläger und leitete damit das Thema für die Vorträge der folgenden Stunden ein.
Vom Telepräsenzroboter bis zum Physiotherapieregister
Den ersten Vortragsblock leitete Prof. Andrea Pfingsten ein. Sie ist Leiterin des Physiotherapielabors der Hochschule. „Damit die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis funktioniert, brauchen wir eine vollständige Akademisierung in der Physiotherapie“, begann sie ihren Vortrag berufspolitisch und schwenkte dann auf die Arbeit des Physiotherapielabors: „Wir machen Forschung für die Praxis. Dazu arbeiten wir derzeit an verschiedenen Projekten.“ Zwei davon stellten im Anschluss wissenschaftliche Mitarbeiter des Labors vor.
„myReha-digital ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt“, erklärte Valentin Schedel. Das Ziel des Projekts sei es, zu erforschen, ob und wie sich ein Rehabilitationssystem, das über die sensorische Erfassung des individuellen Fortschritts der motorischen Fähigkeiten der Patienten gesteuert wird, für diese nach Implantation von Kniegelenksersatz realisieren lässt.
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Natalie Kudienko stellte das Forschungsprojekt „TePUS“ vor – das steht für Telepräsenzroboter für die Pflege und Unterstützung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten. Bei diesem Projekt wurde untersucht, wie sich Telepräsenzinterventionen in der Physiotherapie auf Aktivitäten, Teilhabe und Lebensqualität von Schlaganfallpatienten auswirken. Dabei wurde auch die subjektive Therapieerfahrung der Patienten evaluiert.
Steif, starr, schwach? Muskelsteifigkeit bei Schmerzen
Für den zweiten Beitrag war Prof. Angela Dieterich von der Hochschule Furtwangen angereist. Die ausgebildete Physiotherapeutin ist heute Professorin für Physiotherapie und sprach in ihrem Vortrag „Steif, starr, schwach? Muskelsteifigkeit bei Schmerzen“ über den Nutzen von Ultraschallverfahren bei Verspannungen. „Die Wahrnehmung von Steifigkeit wird häufig mit Verspannungen verbunden“, erklärte Dieterich zu Beginn. „Die Gefühle von fest und trotzdem empfindlich kommen hier zusammen.“ Mit der Ultraschall-Scherwellenelastografie kann die Steifigkeit von Gewebe gemessen werden.
„Die Scherwellengeschwindigkeit hängt von der Gewebesteifigkeit ab – je steifer das Gewebe, desto schneller die Scherwellen“, erläuterte sie. Sie berichtete außerdem von Studien, die nahelegen, dass manche Muskeln bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen steifer werden, andere Muskeln nicht. Diese Messungen betreffen nur die Längsrichtung der Muskulatur. „Für uns Physiotherapeuten ist das wichtig, weil die Muskeln in der Behandlung häufig längs gedehnt werden“, so Dieterich.
FysioPRIM and SupportPRIM – What’s in it for me?
Nach der Pause, in der neben lockeren Unterhaltungen zwischen Teilnehmern, Referenten und Verbandsvertretern auch die Abstimmung über die Posterpreise stattfand, wurde Ingebrigt Meisingset, Wissenschaftler der Norwegian University of Science and Technology (NTNU), zugeschaltet. Er sprach über zwei Projekte aus der Forschungsgruppe Muskuloskelettale Forschung der NTNU.
Bei FysioPRIM handelt es sich um ein Projekt, in dem von 2010 bis 2020 Patienten- und Therapiedaten aus der physiotherapeutischen Grundversorgung in ganz Norwegen erhoben wurden. Ziel war es, Wissen über Patienten, deren physiotherapeutische Behandlungsdaten und deren Ergebnisse auf einer Plattform systematisch zu sammeln. Therapeuten konnten diese Plattform zur patientenindividuellen Evaluation oder in der interdisziplinären Kommunikation zum Beispiel mit dem Hausarzt zur Übermittlung von Therapieberichten nutzen.
Ein aktuell noch laufendes Projekt ist SupportPRIM, das die Entwicklung eines computergestützten klinischen Entscheidungshilfesystems zum Ziel hat. Auf Grundlage der Daten aus dem Projekt FysioPRIM soll eine fallbezogene, personalisierte Versorgung entwickelt werden. Hierfür wurden aus den Daten Subgruppen von Patiententypen definiert, anhand derer prognostische Faktoren und Therapieempfehlungen für die Behandlung abgeleitet werden sollen. Fünf Typen wurden für die Diagnosen Nacken-, Schulter- und Rückenschmerzen sowie generalisierte Schmerzen definiert. Ziel für die Zukunft ist es, das klinische Entscheidungshilfesystem individuell auf Patienten abzustimmen und mit Hilfe von KI den Entscheidungsprozess im muskuloskelettalen Schmerzmanagement zu verbessern.
AUTSCH – der Schmerztalk
Einen modernen, leicht verdaulichen Einstieg in die evdienzbasierte Physiotherapie bot der Physiotherapeut Christoph Schwertfellner mit seinem Podcast „AUTSCH – der Schmerztalk“. „AUTSCH ist ein Podcast über physiotherapeutische Themen rund um Schmerzen“, fasste Schwertfellner zusammen. „Die gefühlte Wahrheit ist, es gibt zwei Lager in der Physiotherapie: die Handwerker und die Evidenzler“, so Schwertfellner. Das stimme aber nicht. Am Beispiel des Themas „Bewegungsangst“ zeigte er auf, wie eine Folge des „Schmerztalks“ aussieht. „Ich habe selbst nach einer Verletzung Bewegungsangst entwickelt“, erzählte er und auch, wie er wieder auf die Beine kam.
Am Beispiel des Angst-Vermeidungsmodells nach Vlaeyen et al. erklärte er, wie Bewegungsangst entstehen kann und was Patienten wie Physiotherapeuten tun können, damit es nicht so weit kommt. „Negative Überzeugungen von Physiotherapeuten haben einen negativen Einfluss auf die Überzeugungen von Patienten“, so Schwertfellner und schließt: „Wir werden immer besser, das ist in der Wissenschaft genauso wie im Krafttraining.“
Nach den Vorträgen wurden traditionell die IFK-Wissenschaftspreise für herausragende Abschlussarbeiten an Nachwuchswissenschaftler der Physiotherapie verliehen. Hier lesen Sie alles über die Preisverleihung.