SHV konkret: Das bewegt die Branche!
45 Minuten – genau so lange hatten die vier Vorstände der SHV-Mitgliedsverbände Zeit, um auf der therapie Leipzig vor interessiertem Publikum die drängendsten berufspolitischen Themen der Branche zunächst kurz und pointiert zu umreißen, um anschließend in die offene Fragerunde mit den Zuhörern zu gehen. Hier haben wir Ihnen die Themen aufbereitet, die im Rahmen der auch in Leipzig wieder gut besuchten SHV konkret Veranstaltung – dem berufspolitischen Format des SHV – gewohnt kompakt, fundiert und schonungslos auf den Tisch kamen:
Akademisierung: Was ist da los?
Nach einigen einleitenden Worten zur Begrüßung vom stellvertretenden Vorsitzenden des SHV, Hans Ortmann (VPT), war es an Andrea Rädlein (PHYSIO DEUTSCHLAND), sich im Namen des SHV zum kontrovers diskutierten Thema Akademisierung zu äußern. Das tat sie in deutlichen Worten, indem sie der Sorge Ausdruck verlieh, dass die gegenwärtige Entwicklung die grundständige Akademisierung langsam aber sicher zu Grabe trägt. Nicht weniger besorgt fällt das Urteil zur Reform der Berufsgesetze im Allgemeinen aus. Hier wünscht sich der SHV eine noch stärkere Einbindung der Verbände in den Reformprozess, um die Modernisierung der Berufe als Partner und Ratgeber der Politik aus der berufsfachlichen Innenperspektive des Branchenkenners begleiten zu können. Denn vom schnellstmöglichen Gelingen der überfälligen Reform der Berufsgesetze – daran ließ Rädlein keinen Zweifel – hängt nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit der Branche ab.
Fachkräftemangel: Schlimm für die Praxen – noch schlimmer für die Patientenversorgung
Auch Katrin Schubert (dbs) schlug bei ihrem Thema Fachkräftemangel erwartbar kritische Töne an: Praxen müssen reihenweise schließen, weil Fachkräfte fehlen. In der Folge ergeben sich dramatisch anwachsende Lücken in der Patientenversorgung. Offiziell bestätigt, so Schubert, werde die Lage durch die aktuelle Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit, in der die therapeutischen Berufe als Mangelberufe geführt werden. Die Ursachen seien hinläglich bekannt: Eine noch immer nicht angemessene Vergütung, unzureichende Arbeitsbedingungen und mangelnde Wertschätzung sowohl in der öffentlichen wie in der fachlichen Wahrnehmung. Anschaulich zeigten sich bspw. die Defizite in den Arbeitsbedingungen an den noch immer nicht flexibel gestaltbaren Arbeitszeiten, die kaum familienfreundlich zu nennen sind und damit keinem attraktiven, zeitgemäßen Berufsprofil entsprechen. Auch an einer Aufwertung des Berufsbildes durch den Direktzugang und die damit verbundene Anerkennung der fachlichen Kompetenzen belässt der SHV keinen Zweifel. In Summe beendete Schubert ihren Beitrag ebenfalls mit der Forderung nach einer grundlegenden Reform der Berufsgesetze, ohne die der Fachkräftemangel nicht aufzuhalten sein wird.
Direktzugang: Ein kleiner Baustein im System
Fortschritte und eine positive Entwicklung bei der Einführung des Direktzugangs durfte anschließend Ute Repschläger (IFK) verkünden. Vor allem die Auftaktrede zum letzten SHV-TherapieGipfel, gehalten von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, gibt Anlass zur Zuversicht, dass die Modellvorhaben von der Politik auf den Weg gebracht werden. Laut einsehbarer Arbeitsliste des BMG soll die gesetzliche Grundlage für die Durchführung von Modellvorhaben zum Direktzugang in der zweiten Jahreshälfte 2023 geschaffen werden. Mit Blick auf die internationalen Vorbilder, so Repschläger, müsse man in diesem Zusammenhang aber gleichzeitg vergegenwärtigen, was oft vergessen werde: dass nämlich nicht die gesamte Versorgung gleichsam automatisch unter den Direct Access (DA) falle. Therapeuten und Patienten werden weiterhin selbst entscheiden, ob sie unter dem DA arbeiten bzw. behandelt werden wollen und längst nicht alle Beschwerdebilder sind für eine Behandlung im Direktzugang geeignet. Der Direktzugang, so lautet folgerichtig das Fazit, markiert einen wichtigen, aber eben auch nur einen Baustein im System.
Interprofessionalität: Wir brauchen klare Spielregeln
Damit landete der Ball zielsicher im Feld von Hans Ortmann (VPT), der einmal mehr betonte, dass die Forderung nach mehr interprofessioneller Zusammenarbeit ein wesentliches Schlüsselmotiv in der berufspolitischen Arbeit des SHV darstellt. Insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern, die mit den Fortschritten der Diagnostik kontinuierlich zunehmen, hängt der Therapieerfolg immer stärker vom Austausch zwischen den Disziplinen ab. Dafür braucht es einen klaren Ordnungsrahmen, der die Arbeitsbedingungen verbindlich regelt und in dem alle beteiligten Akteure auf Augenhöhe miteinander umgehen und zum Wohle der Patienten ihre Kompetenzen bündeln können. Helfen kann hier die Digitalisierung, die etwa den Austausch von Patientenakten erleichtert und den Arbeitsaufwand reduziert. Entscheidend, so Ortmann, ist nämlich vor allem, dass die Zeit, die für die berufsübergreifende Zusammenarbeit aufgewendet werden muss, angemessen vergütet wird. Das sei bisher nicht der Fall. Denn wo er jetzt schon stattfindet, ist der Austausch zwischen Therapeuten, Ärzten und Pflegekräften genau das: eine unbezahlte Extraleistung.
Und nun? Wie geht es weiter?
Nach so viel berufspolitischem Input setzte nach 45 anregenden Minuten der Blick in die Glaskugel den charmanten Schlusspunkt unter eine gelungene Veranstaltung. Welche der angesprochenen Probleme, so die mit einem leichten Augenzwinkern von Moderator Martin von Bersworth-Wallrabe an die Podiumsteilnehmer gestellte Frage, sind beim nächsten SHV konkret erfolgreich abgeräumt?
Wir haben ein Modellvorhaben zum Direktzugang, neue Berufsgesetze, einen Zuwachs von hochschulischen Ausbildungsplätzen und die Blankoverordnung für definierte Indikationen – zwischen Wunsch und Wirklichkeit pendelnd, stellten die Antworten vor allem eines klar: Der SHV wird sich weiterhin einmischen und nicht locker lassen, den berufspolitischen Themen der Branche zur Durchsetzung zu verhelfen. Das sind gute Nachrichten aus Leipzig.