Barmer-Heilmittelreport 2021 liefert verzerrtes Bild

Die Barmer Ersatzkasse hat Ende November den Barmer-Heilmittelreport 2021 veröffentlicht. Dieser legt einen Schwerpunkt auf die Gehaltsentwicklung der angestellten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im ambulanten Bereich. Diese seien laut Barmer weniger stark gestiegen als die Umsatzsteigerungen in den Praxen.

Der Absicht des Gesetzgebers, durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und den daraus resultierenden Gehaltserhöhungen dem Fachkräftemangel zu begegnen, sei laut Report nicht nachgekommen worden.

 

Diese Schlussfolgerung ist aus Sicht des Spitzenverbandes für Heilmittelverbände (SHV) nicht haltbar, da der Barmer in ihrer Analyse einige Fehler und Unterlassungen unterlaufen sind.

 

 

So beziffert der Report zum Beispiel die Umsatzsteigerungen der Heilmittelerbringer von 2017 bis 2020 mit 43 Prozent. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Heilmittel sind allerdings nach den Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums in diesem Zeitraum um rund 35,5 Prozent gestiegen. In der Physiotherapie erhöhten sich die Umsätze konkret von 4,71 Mrd. Euro auf 6,15 Mrd. Euro – und somit um 30,6 Prozent. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass nur rund 70 Prozent der Gesamtumsätze einer Physiotherapiepraxis durch Einnahmen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung resultieren. Der Gesamtumsatz in der Physiotherapie ist daher im Zeitraum 2017 bis 2020 lediglich um ca. 21,4 Prozent gestiegen (70 Prozent von 30,6 Prozent).

 

 

Der Barmer-Report führt im nächsten Schritt aus, dass die Gehälter in der Physiotherapie von 2017 bis 2020 um rund 21 Prozent gestiegen seien. Dafür werden lediglich die Jahresentgeltnachweise der angestellten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten herangezogen, die bei der Barmer versichert sind. Tatsächlich liegen aber offizielle Zahlen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) vor, die sämtliche Gehaltszahlen der in Physiotherapiepraxen Beschäftigten abbilden und einen Wert von 22,4 Prozent nachweisen.

 

 

Trotz teils massiver coronabedingter Umsatzverluste in den sonstigen Einnahmebereichen (z. B. Prävention, betriebliche Gesundheitsförderung, Wellness) sind die sozialversicherungspflichtigen Gehälter also im Zeitraum 2017 bis 2020 stärker gestiegen (22,4 Prozent) als die Umsätze der Praxisinhaber (21,4 Prozent).  Hinzukommt noch, dass im Jahr 2020 Kurzarbeit die sozialversicherungspflichten Gehälter gesenkt hat. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Gehälter ohne die für die Praxisinhaber mit Corona verbundenen Unsicherheiten (z. B. Zugangsbeschränkungen) noch deutlich stärker gestiegen wären. Zum Vergleich: Allein in 2019 wies die BGW deutliche Gehaltssteigerungen von rund 12,6 Prozent aus. In kaum einer anderen Branche dürfte eine ähnlich hohe Vergütungsanpassung erfolgt sein. Im Jahr 2020 betrug die Gehaltserhöhung für in Praxen angestellte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten gemäß BGW dann nur noch 3,4 Prozent. Der Barmer-Report blendet diesen offensichtlichen Corona-Effekt nicht nur vollständig aus, sondern nutzt die im Mittelwert zu niedrigen Zahlen, um ein nicht-realistisches Bild darzustellen.

 

 

Mit Ausnahme des besonderen Corona-Jahres 2020 belegen die BGW-Zahlen der vergangenen Jahre, dass die Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber ihre Mitarbeitenden in hohem Maße an den Vergütungssteigerungen haben teilhaben lassen und lassen den Vorwurf das Barmer-Reports ins Leere laufen.

 

 

Bei der Berücksichtigung der Einmalzahlung aus dem Rettungsschirm im Jahr 2020 wird im Barmer-Report verschwiegen, dass hiermit die pandemiebedingten Umsatzverluste der Praxen aus allen Einnahmebereichen und nicht nur den Umsatzrückgang für ärztlich verordnete Heilmittelhandlungen kompensieren sollte. Berücksichtigt man also diesen Einmaleffekt als Umsatz, muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass neben dem Verordnungsrückgang im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung auch die sonstigen Einnahmen der Praxen in 2020 teils massiv gesunken bzw. gänzlich weggefallen sind.

 

 

Es wird zudem verschwiegen, dass die Praxen in den vergangenen Jahren deutlich erhöhte Aufwendungen (Zeit/Geld), z. B. für Energie sowie zuletzt für Hygienemaßnahmen hatten. So mussten Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung – soweit überhaupt erhältlich – insbesondere zu Beginn der Pandemie zu Höchstpreisen eingekauft werden. Diese erhöhten Kosten wurden durch die Hygienepauschale nicht annähernd in ausreichender Höhe abgedeckt.

 

 

Ferner nutzten Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber die gestiegenen Einnahmen auch, um dem Investitionsstau, der sich über die Jahre aufgebaut hat, zu begegnen, also dringende Anschaffungen zu tätigen und Rücklagen für die Praxis zu bilden. Zu guter Letzt blendet der Barmer-Report vollständig aus, dass die Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber durch die niedrigen Vergütungssätze der vergangenen Jahrzehnte selbst einen hohen Nachholbedarf hatten. Wie das WAT-Gutachten des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG) belegen konnte, ist ein physiotherapeutischer Praxisinhaber zum Beispiel deutlich schlechter gestellt als ein leitend angestellter Physiotherapeut im Krankenhaus. Dies ist auch nach den Preiserhöhungen der letzten Jahre weiterhin der Fall.

 

 

Der SHV setzt sich daher weiter dafür ein, mit den Krankenkassen eine Vergütung auszuhandeln, die ausreichend ist, eine Praxis wirtschaftlich zu führen und angemessene Gehälter zu zahlen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Das ist die Voraussetzung, um die therapeutische Versorgung der Patientinnen und Patienten flächendeckend gewährleisten zu können. Anders als es der Barmer-Heilmittelreport suggeriert, bedarf es hierzu noch weiterer spürbarer Vergütungserhöhungen.

 

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