Positionen

Als Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten vertritt der IFK die Interessen seiner Mitglieder gegenüber der Politik, den Krankenkassen, der Ärzteschaft und anderen Institutionen im Gesundheitswesen und setzt sich dafür ein, die Arbeitsbedingungen selbstständiger Physiotherapeuten stetig zu verbessern. Dabei liegen uns eine angemessene Vergütung, gute Arbeitsbedingungen sowie Strategien gegen den Fachkräftemangel besonders am Herzen. 

Dafür setzen wir uns ein:

  • bessere Arbeitsbedingungen durch eine zeitgemäße Leistungsbeschreibung für eine zukunftsfeste therapeutische Versorgung
  • eine angemessene Vergütung, die eine wirtschaftliche und leistungsgerechte Praxisführung ermöglicht
  • ein modernes Berufsgesetz, das der wachsenden Komplexität des physiotherapeutischen Berufsbildes gerecht wird und eine hochschulische Ausbildung beinhaltet  
  • mehr Autonomie für Physiotherapeuten (Direktzugang)

Verantwortungsvolle Patientenversorgung braucht jetzt Weichenstellungen

Stand 1. September 2022

Aktuelle Probleme belasten die Physiotherapie stark. Der sich stetig verschlimmernde Fachkräftemangel, die nicht wirtschaftlich tragbare Vergütung durch die gesetzlichen Krankenkassen und die Kostensteigerungen durch Inflation und Teuerung der Sachkosten erfordern kurzfristig konkrete Lösungsansätze, damit die Patientenversorgung nicht gefährdet ist.  Aber auch langfriste Themen müssen bereits jetzt vorbereitet werden. Uns fehlt die Zeit, Versorgungsforschung in der Physiotherapie immer wieder in die Zukunft zu verschieben. Einen Lichtblick liefert dazu der Koalitionsvertrag der Bundesregierung: „Wir bringen ein Modellprojekt zum Direktzugang für therapeutische Berufe auf den Weg.“

Internationale Erfahrungen zeigen, dass der Direktzugang für Patienten einen schnelleren Therapiebeginn und damit eine deutliche Verbesserung der medizinischen Versorgung bietet, da sie nicht erst beim Arzt auf einen Termin warten müssen, um eine Verordnung zu erhalten. Der Direktzugang sorgt also dafür, dass den Patienten schneller geholfen wird als derzeit. Die Ablösung der tradierten Arbeitsteilung zwischen Arzt und Physiotherapie durch den Direktzugang ermöglicht es zudem, das Gesundheitssystem in diesem Bereich völlig neu zu durchdenken – vom Patienten aus und mit seinen Bedürfnissen im Blick – und die knappen im System verfügbaren Ressourcen bestmöglich zu nutzen und ärztlicherseits zu entlasten.

Für Physiotherapeuten bedeutet der Direktzugang in erster Linie einen großen Schritt hin zu mehr Professionalisierung des Berufsbilds, insbesondere mehr Autonomie. In Zeiten des sich stetig verschlimmernden Fachkräftemangels braucht die Branche dringend eine Reform, die den Beruf attraktiver macht und das starre Korsett der Arbeitsbedingungen zugunsten von mehr Flexibilität und Eigenverantwortung aufbricht.

Internationale Studien belegen, dass der Direktzugang zur Physiotherapie sowohl die Qualität als auch die Wirtschaftlichkeit der Versorgung verbessert. Ein Blick über den internationalen Tellerrand zeigt, dass der Direktzugang in anderen Ländern bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz ist. Vor allem im muskuloskelettalen Bereich nutzen Patienten die Möglichkeit, schnell und einfach eine Einschätzung ihrer Beschwerden einer physiotherapeutischen Fachfrau einzuholen und sich behandeln zu lassen. Beim Erkennen sogenannter „Red Flags“ oder wenn sich Symptome nicht verbessern, leitet der Physiotherapeut natürlich an einen (Fach-)Arzt weiter.

Es geht also nicht darum, die verschiedenen Professionen gegeneinander auszuspielen und den jeweils anderen mit seinen Kompetenzen infrage zu stellen, sondern ein interdisziplinäres Miteinander zu schaffen, in dem die Versorgung der Patienten bestmöglich organisiert ist. Eine neue Rollenverteilung ist immer eine Herausforderung. Doch der Direktzugang in der Physiotherapie hat das Potenzial, eine neue, patientenorientierte Zusammenarbeit zu ermöglichen und die Kompetenzen aller Berufsgruppen bestmöglich zu nutzen. Effektivität und Effizienz der Therapie werden gesteigert, die Versorgung in der Fläche verbessert - so die Annahme für das deutsche Gesundheitssystem.

Bevor das Thema Direktzugang im Rahmen einer Regelversorgung diskutiert werden kann, bedarf es konkreter Forschungsergebnisse, die die Basis für weitere Diskussionen im Kontext des deutschen Gesundheitssystems bilden können: Wie ist die Behandlungsqualität? Wie wird Patientensicherheit garantiert? Wie ist der prospektive Behandlungserfolg? Welche wirtschaftlichen Effekte treten ein? Wie ist das Inanspruchnahmeverhalten von Patienten? Welches Qualifikationsniveau überzeugt? Dies sind nur einige der Fragen, die in einem Modellvorhaben zum Direktzugang untersucht werden müssen.

Eine Voraussetzung für ein solches Modellvorhaben ist eine neu zu schaffende gesetzliche Grundlage. Auf Basis der Ergebnisse eines Modellvorhabens – die erst in einigen Jahren vorliegen würden – wäre zum ersten Mal eine wirkliche Diskussion über den Direktzugang im deutschen Gesundheitssystem möglich.

Gegenwärtige Diskussionen zum Direktzugang sind oft von Annahmen geleitet. Annahmen, die mitunter auch zur Ablehnung eines solchen Vorhabens führen, mit der Begründung, dass zu viele Fragen offen und internationale Erfahrungen nicht übertragbar seien. Das offensichtliche Paradoxon, dass diese Fragen ohne ein Modellvorhaben nicht beantwortet werden können, wird dabei häufig außer Acht gelassen. Schon jetzt steht jedoch fest, dass der Direktzugang in Deutschland nur ein Baustein der physiotherapeutischen Versorgung sein kann und nicht für alle Patienten bzw. Diagnosen geeignet ist. Beispielsweise für multimorbide Patienten oder bei Diagnosen, für die bildgebende Verfahren erforderlich sind, wird eine Behandlung über den Direktzugang nicht angezeigt sein. Auch Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass die Gruppe der Patienten, die über den Direktzugang behandelt werden können, begrenzt ist. Vor allem bei jüngeren Patienten oder Symptomen wie dem unspezifischen Rücken- und Nackenschmerz, wird jedoch von sehr guten Erfahrungen berichtet.  

Neben dem kurzfristigen Handlungsbedarf, dem Fachkräftemangel auch gesetzgeberisch zu begegnen, plädiert der IFK dafür, schon jetzt eine gesetzliche Grundlage auf den Weg zu bringen, die weitere Forschung ermöglicht, um zukünftige Versorgungsthemen auf der Basis gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse, in eine seriöse Debatte zu führen. Eine Debatte, die auf Ergebnissen fußt, nicht auf Annahmen.

Der Text erschien in der Zeitschrift physiotherapie (Ausgabe 5-22)

Modellvorhaben für mehr Autonomie

Zwischen 2011 und 2018 führte der IFK gemeinsam mit der BIG direkt gesund ein Modellvorhaben für mehr Autonomie in der Physiotherapie. Alle Informationen dazu finden Sie hier.

 

Fachkräftemangel – ein Problemfeld der physiotherapeutischen Versorgung

Stand 1. November 2022

Bereits seit Jahren zeichnet sich in der Physiotherapie ein Fachkräftemangel ab. Seit 2017 belegen die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit diesen als solchen. Die Zahlen sprechen für sich: Kamen 2006 auf eine bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Physiotherapeutenstelle noch rund fünf arbeitssuchende Physiotherapeuten, hat sich das Verhältnis in der Zwischenzeit umgekehrt. Im Juli 2022 waren bei der Bundesagentur pro arbeitssuchenden Physiotherapeuten 3,9 freie Stellen gemeldet, Tendenz weiter steigend. Durchschnittlich dauert es mehr als ein halbes Jahr, bis eine ausgeschriebene Physiotherapeutenstelle nachbesetzt werden kann.

Auch die Situation auf dem Ausbildungsmarkt macht nur wenig Hoffnung auf eine baldige Besserung des Fachkräftemangels. Von 2005 bis 2015 gingen die Schülerzahlen an Physiotherapiefachschulen konstant zurück. Insgesamt ist die Zahl der Physiotherapieschüler in diesen zehn Jahren bundesweit um 17 Prozent gesunken. Ab 2015 wurde der Negativtrend zwar gebrochen, blieb aber bis 2018 auf einem konstant niedrigen Stand. Erst seit Beginn des Schuljahrs 2019/2020 ist die Zahl der Schüler erstmals seit 2015 wieder gestiegen. Dieser Aufschwung lässt sich – zumindest zu einem Teil – auf die Schulgeldfreiheit an vielen Physiotherapieschulen zurückführen, die ab September 2018 in vielen Bundesländern nach und nach umgesetzt wurde.

Derzeit ist die fachschulische Physiotherapieausbildung in elf Bundesländern schulgeldfrei. Aktuell ist Rheinland-Pfalz im Juli 2022 nachgerückt. Außerdem sind die Physiotherapieschüler in Baden-Württemberg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern teilweise vom Schulgeld befreit, wenn sie beispielsweise an Fachschulen lernen, die an Krankenhäuser angegliedert sind und die Finanzierung so über das Krankenhausfinanzierungsgesetz erfolgt. Lediglich in Berlin und Sachsen-Anhalt ist eine schulgeldfreie Physiotherapieausbildung bislang noch nicht möglich. Die leicht positive Entwicklung nach Einführung der Schulgeldfreiheit zeigt sich an den Schülerzahlen des ersten Ausbildungsjahrs 2019/2020 sowie 2020/2021. In den Absolventenzahlen kann sich diese Entwicklung bei einer Regelausbildungsdauer von drei Jahren allerdings noch nicht widerspiegeln. Dieser zeitliche Verzug erklärt auch, weshalb sich die jüngsten Verbesserungen auf dem Ausbildungsmarkt bisher noch nicht nachhaltig auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt haben.

Die lange Zeit obligatorischen Ausbildungskosten an den Physiotherapiefachschulen sind sicherlich nicht der einzige Grund für die mangelnde Attraktivität des Berufsbildes Physiotherapie, mit der unsere Branche seit Jahren zu kämpfen hat und die als Treiber des Fachkräftemangels gesehen werden können. Ein Schmerzpunkt, der mir persönlich als Physiotherapeutin, aber auch als Vorstandsvorsitzende des IFK, in meiner gesamten Laufbahn wichtig war und ist, sind sie Arbeitsbedingungen unseres Berufsstandes. Dazu gehört in erster Linie eine angemessene und leistungsgerechte Vergütung physiotherapeutischer Leistungen, die es den selbstständigen Physiotherapeuten ermöglicht, ihre Angestellten angemessen zu bezahlen, die eigene Familie zu ernähren, ihre Praxis zu finanzieren und instand zu halten sowie sich eine ausreichende Altersvorsorge aufzubauen.

Obwohl sich im Bereich Vergütung in den letzten fünf Jahren einiges bewegt hat, sind wir hier noch immer nicht an einem Punkt, den wir als Berufsverband als angemessen bezeichnen können. Aufgrund der gestiegenen Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sind die Umsätze der Physiotherapiepraxen von 2017 bis 2021 um insgesamt 36,3 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum haben sich – laut Angaben der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) – die Gehälter der Angestellten in den Praxen selbstständiger Physiotherapeuten um 32,8 Prozent erhöht. Damit zeigt sich, dass die Praxisinhaber, einen großen Teil der Vergütungserhöhungen durch die GKV an ihre Mitarbeiter weitergegeben haben. Trotzdem ist das Gehalt vieler Physiotherapeuten in niedergelassenen Praxen noch immer deutlich unter einem Stand, der sich mit den Gehältern von Physiotherapeuten, die im stationären Bereich tätig sind, messen kann. Auch Praxisinhaber selbst verdienen in vielen Fällen weniger als angestellte Physiotherapeuten in leitender Position, beispielsweise im öffentlichen Dienst. Die nicht ausreichende Vergütung der letzten Jahrzehnte hat in vielen Praxen außerdem zu einem Investitionsstau geführt, der erst einmal aufzulösen ist, indem beispielsweise in neue Praxisausstattung investiert werden muss. Daher können Praxisinhaber die Vergütungserhöhung nicht vollständig an ihre Mitarbeiter weitergeben.

Neben einer angemessenen Vergütung tragen aber auch weitere Faktoren zur Attraktivität der Physiotherapie bei. Therapeuten benötigen ausreichend Zeit, um den Patienten nicht nur die rein fachliche, sondern auch die erforderliche menschliche Zuwendung geben zu können. Generell ist eine gesteigerte Zufriedenheit bei der Ausübung des Berufs ein elementarer Baustein, um Fachkräfte zu gewinnen, aber auch langfristig zu halten. Dies kann zum Beispiel durch angemessene Behandlungszeiten erreicht werden, in denen die Therapeuten ausreichend Zeit haben, die Techniken am Patienten anzuwenden, die sie gemäß ihrer Ausbildung für therapeutisch sinnvoll erachten und gleichzeitig die entsprechenden Befugnisse haben, dies zu tun. Auch das Thema mehr Autonomie in der Physiotherapie spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle (dazu lesen Sie die Position des IFK in der Ausgabe 5-22 der „physiotherapie“). Ebenso trägt die Verbesserung der Attraktivität der Physiotherapieausbildung wesentlich zu einer erhöhten Zugkraft für die Physiotherapiebranche bei.

Der leichte Positivtrend, der sich bei den Schülerzahlen – wie oben beschrieben - derzeit abzeichnet, erlaubt einen vorsichtig hoffnungsvollen Blick in die Zukunft unseres Berufsstandes. Es ist allerdings nicht absehbar, ob und wenn ja, wann sich die gestiegenen Schülerzahlen der letzten beiden Jahre auf dem Arbeitsmarkt widerspiegeln werden. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass die Physiotherapeuten der sogenannten Baby-Boomer-Generation in den kommenden Jahren aus dem Beruf ausscheiden werden, während der Bedarf an Physiotherapie durch den demografischen Wandel gleichzeitig zunimmt. Hier eröffnet sich in naher Zukunft ein neues Problemfeld für die physiotherapeutische Versorgung. Um unseren – zunehmend multimorbider werdenden – Patienten auch in Zukunft eine verlässliche Versorgung bieten zu können und sicherzustellen, dass alle Patienten, die eine physiotherapeutische Behandlung benötigen, diese auch erhalten, muss jetzt gehandelt werden! Diese Botschaft vertreten wir deutlich gegenüber Politik und Krankenkassen. Wir haben als Berufsverband schon an vielen Stellen Prozesse angestoßen und begleitet. Die gesetzlichen Grundlagen müssen letztendlich aber von der Bundesregierung kommen.

Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung findet sich hierzu eine Passage, die wir als ein positives Signal bewerten: „Wir verbessern die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsfachberufe“. Im Bereich der Vergütung wurde mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) bereits ein guter Schritt in die richtige Richtung getan. Weitere müssen nun folgen. Es ist dabei nicht nur wichtig, die Arbeitsbedingungen so weit zu verändern, dass ein zunehmendes Abwandern von Fachkräften in andere Berufsfelder verhindert wird und Therapeuten weiterhin mit Freude und Engagement ihrer Arbeit nachgehen können. Gleichzeitig muss die Physiotherapieausbildung so reformiert werden, dass sie für eine größere Anzahl an Schulabgängern attraktiv und interessant wird – dafür ist ein Angleich an internationale Standards unbedingt notwendig. Um den Fachkräftemangel nachhaltig zu entschärfen, bedarf es also insgesamt einer deutlichen Verbesserung der Attraktivität des Berufs!

Der Text erschien in der Zeitschrift physiotherapie (Ausgabe 6-22)

Reform des Berufsgesetzes der Physiotherapie

Stand 1. Januar 2023

Es ist ein viel diskutiertes Thema: die Akademisierung der Physiotherapie. Die politische Forderung des IFK in dieser Diskussion ist die Etablierung einer vollständigen, primärqualifizierenden hochschulischen Ausbildung. Sie soll die bisherige fachschulische Ausbildung ablösen. Doch warum ist es erforderlich, das Ausbildungssystem so tiefgreifend zu verändern? 

Was passiert mit den Therapeuten, die eine fachschulische Ausbildung gemacht haben? Wie will man den Weg zur Vollakademisierung gestalten, wenn es derzeit gar nicht genügend Hochschulen gibt? Das sind nur drei Fragen von vielen, die im Zusammenhang mit der Forderung der Vollakademisierung gestellt werden. Die Berufsverbände des SHV haben gemeinsam die Vor- und Nachteile verschiedener Optionen diskutiert und Lösungswege erarbeitet. 

Tiefgreifende Veränderungen sind notwendig

Als Physiotherapeuten leisten wir einen enorm wichtigen Beitrag für die Patientenversorgung in Deutschland. Dieser wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten, auch mit Blick auf den demografischen Wandel, weiter wachsen: Die Bevölkerung wird älter, multimorbider und damit zunehmend therapiebedürftiger. Dementsprechend steigen die Ansprüche an uns Therapeuten, sowohl bei der Umsetzung einer evidenzbasierten Diagnostik als auch in der Therapie. Evidenz lässt sich nur durch gezielte Forschung erreichen. Physiotherapeuten müssen für ihre eigene Berufsgruppe Studien durchführen, um die Effektivität ihrer Untersuchungs- und Behandlungstechniken nachzuweisen. Nur durch die Akademisierung des Berufs lassen sich eigene Forschungsstrukturen in der Physiotherapie ausbauen. Daneben müssen die Forschungsergebnisse dann auch in die Ausbildung und Praxis transferiert werden. Es sind also zwei Themen, die im Zuge der Akademisierung wichtig sind: zum einen die Ausbildung als solche und zum anderen die nötigen Forschungsstrukturen. 

Das mittlerweile nicht mehr zeitgemäße Berufsgesetz von 1994 und seine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung müssen dahingehend geändert werden, dass sie den Erwerb von Kompetenzen im Sinne der Ausrichtung an zukünftige Versorgungsbedarfe, Tätigkeitsprofile und zunehmend komplexere Krankheitsbilder widerspiegeln. Dazu zählen beispielsweise die Übernahme von  Steuerungsverantwortung für physiotherapeutische Prozesse sowie die interprofessionelle Zusammenarbeit. Gleichzeitig gibt es Ausbildungsinhalte, die inzwischen überholt sind und daher nicht mehr unterrichtet werden müssen. Eine gründliche Überarbeitung ist also unabdingbar.

Akademisierung steigert Berufsattraktivität

Den stetig steigenden Therapiebedarfen steht eine zunehmend kleiner werdende Anzahl an Therapeuten gegenüber. Der Fachkräftemangel ist ein bekanntes Problem – nicht nur, aber auch in der Physiotherapie (mehr dazu lesen Sie in der „physiotherapie“ 6-22). Unser Beruf muss attraktiver werden, um wieder mehr junge Menschen für ihn zu begeistern! Neben einer angemessenen Vergütung ist die Akademisierung dabei ein wichtiger Baustein für ein attraktiveres Berufsbild. Die derzeit stark limitierten Möglichkeiten der beruflichen (Weiter-)Entwicklung werden erweitert. Die Gestaltung eines Arbeitsumfelds, in dem sich die dabei gewonnenen Kompetenzen auch entfalten können, steigert die Attraktivität der Therapieberufe deutlich und erhöht nicht zuletzt angesichts der über Jahrzehnte gestiegenen Abiturientenquote die Nachfrage nach einer Ausbildung in den Therapieberufen.

Im übrigen ist eine akademische Ausbildung in zahlreichen anderen Ländern selbstverständlich. Die Forderung nach hochschulischen Strukturen ist somit die Forderung nach einer Angleichung der physiotherapeutischen Ausbildung an internationale und europäische Standards.

Praxisbezogene Studieninhalte

An einer Hochschule lernen Studierende neben den praktischen und theoretischen Grundlagen der Physiotherapie wissenschaftliche Methoden- und Forschungskompetenz, die eine kritisch reflektierende Grundhaltung des Physiotherapeuten in der täglichen Arbeit fördern. Ein mitunter gängiges Vorurteil ist, dass eine hochschulische Ausbildung nicht ausreichend für den Einsatz in einer Praxis qualifiziert, sprich: Die akademische Ausbildung soll zu wenig praxisorientiert sein. Ganz im Gegenteil dazu muss man aber objektiv feststellen, dass eine akademische Ausbildung – so wie sie von uns vorgeschlagen wird – keine Theoretiker hervorbringt, sondern reflektierende Praktiker. Diese werden selbstverständlich für den praktischen Einsatz am Patienten vorbereitet. Beispielsweise unsere in den Niederlanden ausschließlich hochschulisch ausgebildeten Kollegen stellen seit Jahrzehnten unter Beweis, dass das funktioniert. Wir als Physiotherapeuten arbeiten Tag für Tag mit Menschen, die ihre Gesundheit in unsere Hände legen. Dieser Verantwortung wird selbstverständlich auch eine reformierte hochschulische Ausbildung Rechnung tragen.

Bestandsschutz für fachschulisch ausgebildete Therapeuten

Gleichzeitig dürfen wir die Leistungen, die alle bewährten Physiotherapeuten bereits jetzt und in Zukunft weiterhin für das deutsche Gesundheitssystem erbringen, nicht aus dem Blick verlieren. Sie sind es, die die physiotherapeutische Versorgung derzeit sicherstellen, die den Übergangsprozess begleiten werden und auch in Zukunft jungen, hochschulisch ausgebildeten Physiotherapeuten mit ihrer Erfahrung zur Seite stehen. Andersherum können fachschulisch ausgebildete Therapeuten von Hochschulabsolventen lernen. Es ist wichtig, den Bestandsschutz für alle Therapeuten zu regeln, die auf der Grundlage des aktuellen Berufsgesetzes ihre Ausbildung an einer Fachschule absolviert haben. Für sie muss selbstverständlich gewährleistet sein, dass alle Aufgaben, die zurzeit in der täglichen Arbeit übernommen werden, auch zukünftig ohne Einschränkung weiterhin möglich sind. 

Derzeit ermöglichen Modellklauseln Studiengänge

Bereits jetzt besteht in Deutschland die Möglichkeit, sich für eine hochschulische Ausbildung in der Physiotherapie zu entscheiden. 2009 wurde die sogenannte Modellklausel zur Erprobung von akademischen Ausbildungsangeboten in der Physiotherapie in das Berufsgesetz eingefügt. Diese ermöglichte es Hochschulen, grundständige Modell-Studiengänge in der Physiotherapie anzubieten – auf der Basis des aktuellen Berufsgesetzes, das auch für die Ausbildung in Berufsfachschulen maßgebend ist. Der IFK hat diese Modellklausel begrüßt, weil wir sie als einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen Akademisierung der Ausbildung gesehen haben und noch immer sehen. Die fortlaufenden Verlängerungen dieser Modellklausel – ohne dass es weitere Bestrebungen seitens der Bundespolitik gab, sich der Reform des Berufsgesetzes anzunehmen – beobachten wir allerdings zunehmend kritisch.

BMG befragte IFK und weitere Beteiligte

Ein Schritt hin zu einer tatsächlichen Reform war dann das erste Konsultationsverfahren zum Berufsgesetz der Physiotherapie, das im Sommer 2021 eingeleitet wurde. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) schickte dazu einen Fragenkatalog an verschiedene beteiligte Akteure – unter anderem den IFK. Darin wurde beispielsweise nach einer Positionierung zur Akademisierung der Physiotherapie sowie zum Nebeneinander der fach- und hochschulischen Ausbildung gefragt. Hier hat sich der IFK zusammen mit PHYSIO-Deutschland, dem VPT – Verband für Physiotherapie, dem Verband Leitender Lehrkräfte (VLL) und dem Hochschulverband Gesundheitsfachberufe (HVG) deutlich positioniert: Das bestehende Nebeneinander der fachschulischen Ausbildung sowie der primärqualifizierenden Studiengänge zum Physiotherapeuten bringt für alle Beteiligten Verunsicherung und Unklarheit mit sich. Es ist nicht vermittelbar, dass man denselben Beruf über eine schulische und eine hochschulische Ausbildung lernen kann. Diese Doppelstruktur ist fachlich nicht zu rechtfertigen und würde zudem zu Abgrezungsproblemen führen. 

Klare Abgrenzung der Berufe erforderlich

In der Physiotherapie gibt es aktuell zwei Berufe, den Masseur und medizinischen Bademeister sowie den Physiotherapeuten. Wird die Ausbildung der Physiotherapeuten hochschulisch, gilt es, genau zu definieren, welche Aufgaben vom akademisierten Physiotherapeuten übernommen werden und wofür der Masseur und medizinische Bademeister künftig zuständig sein wird. Um beide Berufe voneinander unterscheidbar zu machen und Verantwortungen eindeutig zu klären, muss sichergestellt werden, dass beide Berufe in ihrer jeweiligen Ausbildung zielgenau auf die ihnen zugedachten Kompetenzen vorbereitet werden. 

Beide Berufe erhalten

Im Juli dieses Jahres hat sich die neue Bundesregierung an die Beteiligten des ersten Konsultationsverfahrens gewandt. Im Anschreiben heißt es, aus den Ergebnissen des ersten Konsultationsverfahrens würde sich eine klare Tendenz zur Erhaltung beider Berufe in der Physiotherapie abzeichnen, also sowohl Physiotherapeuten als auch Masseure und medizinische Bademeister. Für Physiotherapeuten soll eine vollständige Akademisierung avisiert werden, während die Ausbildung der Masseure und medizinischen Bademeister weiterhin fachschulisch bleibt. Das BMG strebt eine umfassenden Reform der Ausbildung an. Ausgebildete Masseure und medizinische Bademeister sollen zudem das Recht erhalten, Physiotherapie an einer Hochschule zu studieren. Damit ist die Durchlässigkeit gewährleistet.

Vertiefende Befragung durch das BMG

Die erste Tendenz aus dem Konsultationsverfahren benötige eine weitere Konkretisierung, befand das Bundesgesundheitsministerium. Daher wurde 2022 eine ergänzende Befragung zu einem sogenannten ersten Konzeptentwurf über die zukünftige Ausgestaltung der Berufe in der Physiotherapie eingeleitet. Darin ging es vor allem um die Ausgestaltung der Kompetenzen und Inhalte für eine zukünftige hochschulische Ausbildung der Physiotherapeuten sowie der fachschulischen Ausbildung der Masseure und medizinischen Bademeister (zukünftige Berufsbezeichnung gegebenenfalls Medizinische Massagetherapeuten). Auch in diesem Konsultationsverfahren gab der IFK gemeinsam mit PHYSIO-Deutschland, dem VPT – Verband für Physiotherapie, dem Verband Leitender Lehrkräfte (VLL) und dem Hochschulverband Gesundheitsfachberufe (HVG) eine gemeinsame Stellungnahme ab. Aktuell wertet das BMG diese und die Stellungnahmen weiterer konsultierter Organisationen aus. Die Ergebnisse der Befragung sollen die Grundlage für einen Referentenentwurf über das Berufsgesetz der Physiotherapie werden.

Mindestens zehn Jahre zur Umsetzung notwendig

Wichtig ist, dass die Reform noch in dieser Legislaturperiode vorangetrieben wird. Denn was bei all diesen Überlegungen beachtet werden muss: Bis wir tatsächlich von einer vollständigen Akademisierung der physiotherapeutischen Ausbildung sprechen können, werden Schätzungen zufolge ohnehin noch mindestens zehn Jahre vergehen. In dieser Zeit müssen die Strukturen für das flächendeckende Angebot von Physiotherapiestudiengängen in Deutschland geschaffen, die Übergangsszenarien für die Berufsfachschulen erarbeitet und entsprechend qualifizierte Lehrkräfte für die Hochschulen ausgebildet werden. 

Transformation der Berufsfachschulen wird mitgedacht

Für die Transformation der Berufsfachschulen haben wir dem Bundesministerium für Gesundheit bereits einen konkreten Vorschlag zukommen lassen. Beispielweise könnten Berufsfachschulen Kooperationen mit Hochschulen eingehen oder ihr Ausbildungsprofil an das hochschulische Curruiculum anpassen und so den Transformationsprozess aktiv mitgestalten. Außerdem sollen Lehrkräfte von Berufsfachschulen die Möglichkeit bekommen, (eventuell mit einer Nachqualifizierung) auch an Hochschulen zu unterrichten, sodass ihre Expertise nicht verloren geht. In jedem Fall wird im Prozess mitgedacht, wie wir die Kompetenzen der Berufsfachschulen erhalten und für die Ausbildung neuer Physiotherapeuten weiterhin nutzen können. Denn die Reform des Berufsgesetzes muss sicherstellen, dass die bewährten Kompetenzen erhalten bleiben und die Qualität der Ausbildung auf einem hohen Niveau bleibt.

Die Entwicklung des Berufsgesetzes und der Ausbildungsverordnung

  • 1958: Erstes bundeseinheitliches „Gesetz über die Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten“.
  • 1960: Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankengymnasten (APrO) trat in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
  • 1994: Das Berufsgesetz wurde überarbeitet und inhaltlich sowie strukturell aktualisiert. Damit ging die Neustrukturierung der Ausbildung einher und die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten trat in Kraft.
  • 2001: Der erste Bachelorstudiengang in Physiotherapie startete in Hildesheim.
  • 2009: Die Modellklausel wurde in das Berufsgesetz eingefügt. Dies ermöglichte den Hochschulen, grundständige Modell-Studiengänge in Physiotherapie anzubieten.

Der Text erschien in der Zeitschrift physiotherapie (Ausgabe 1-23)

Interprofessionelle Zusammenarbeit

Stand 1. Mai 2023

Das deutsche Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt. Viele unterschiedliche Professionen setzen ihre Kompetenzen dafür ein, den Patientinnen und Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen. Oftmals findet hierzu bereits ein reger Austausch zwischen den einzelnen Professionen statt. Denn eins ist klar: Wenn alle Akteurinnen im Gesundheitssystem eng miteinander kooperieren und so ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen, sorgt das für eine effektive und effiziente Versorgung. Das vermindert Fehler und erhöht die Zufriedenheit der Patientinnen sowie der Leistungserbringer. Aktuell ist diese Zusammenarbeit jedoch von der Eigeninitiative der beteiligten Personen abhängig. Dadurch bleiben Synergien ungenutzt, die Behandlungsdauer verlängert sich und es entstehen unnötige Kosten. Das Zusammenspiel aller Professionen im medizinischen Bereich muss daher dringend gestärkt werden – hin zu einer Kultur, in der interprofessionelle Zusammenarbeit ganz selbstverständlich an der Tagesordnung steht.

Unter interprofessioneller Zusammenarbeit versteht die Weltgesundheitsorganisation „die Zusammenarbeit verschiedener Professionen, Patienten, Klienten, Angehörigen, aber auch Gesellschaften“, um eine optimale Gesundheitsversorgung zu gewährleisten“. Was zunächst vielleicht kompliziert klingt, ist im Grunde einfach darzustellen: Die Patientin steht im Mittelpunkt aller Bestrebungen. Und für ihre optimale Versorgung arbeiten alle Berufsgruppen sowie auch die Angehörigen im engen Austausch Hand in Hand. Warum ist das so wichtig?

Mit Blick auf den demografischen Wandel wird schnell klar: Die Menschen werden immer älter. Dadurch gibt es immer mehr (ältere) Patientinnen, die nicht nur an einer, sondern gleich an verschiedenen Erkrankungen leiden. Das macht die sachgerechte Versorgung komplexer – und eine Abstimmung der einzelnen Akteurinnen umso wichtiger. Aber nicht nur im geriatrischen Bereich, beispielsweise auch bei akuten orthopädischen Krankheitsbildern, nach chirurgischen Eingriffen oder im Bereich der Kinderneurologie hängt ein gutes Behandlungsergebnis von einem schnellen Informationsfluss und einer gemeinsamen Zielrichtung in der Therapie ab.

Das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) hat sich unter der Leitung von Prof. Dr. med. Jana Jünger umfassend mit der Thematik beschäftigt und gemeinsam mit einem Expertengremium Empfehlungen zur Gestaltung der interprofessionellen Lehre an den medizinischen Fakultäten erstellt – das Nationale Mustercurriculum Interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation. In den Empfehlungen heißt es, dass eine zielführende interprofessionelle Zusammenarbeit unter anderem die Behandlungsqualität und Patientensicherheit verbessert. Außerdem steigt die Zufriedenheit der Patienten sowie der medizinischen Fachkräfte und durch die erhöhte Effizienz werden sogar Kosten eingespart. Viele Gründe also, das Thema noch konsequenter anzugehen. Dazu sind drei Schritte nötig.

Schritt 1: Interprofessionelle Ausbildung muss Standard werden

Um die interprofessionelle Zusammenarbeit in der Praxis intensivieren zu können, bedarf es einem Miteinander auf Augenhöhe. Den Angehörigen aller medizinischen Berufsgruppen muss klar sein, warum es so wichtig ist, über-, von- und miteinander zu lernen. Das sorgt dann nicht nur dafür, dass die gemeinsame Patientenorientierung noch stärker in den Mittelpunkt rückt. Es dient auch dazu, die Zuständigkeiten und Kompetenzbereiche anderer Berufsgruppen genauer kennenzulernen, Vorurteile abzubauen und die Anerkennung gegenüber der Expertise anderer Professionen zu erhöhen.

Damit diese Haltung für alle Beteiligten selbstverständlich wird, muss die Grundlage bereits in der Ausbildung gelegt werden.

Speziell für Medizinstudierende hat das IMPP federführend und mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung das oben genannte Nationale Mustercurriculum „Interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation“ entwickelt. Folgende vier Kernkompetenzen /Lernbereiche wurden dabei identifiziert:

  • Werte und Ethik
  • Interprofessionelle Kommunikation
  • Rollen und Verantwortlichkeiten
  • Interprofessionelle Zusammenarbeit

Mittlerweile sind sie im „Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin“ (NKLM) verankert. Entsprechendes müsste in den Curricula der Heilmittelerbringer und anderer an der Versorgung der Patientinnen beteiligter Berufe – wie beispielsweise der Pflege – verankert werden. Gleiche Lernziele und in der Folge gleiche Kompetenzen sind die beste Voraussetzung für eine gelungene Zusammenarbeit.

Eine Akademisierung, wie vom Bündnis „Therapieberufe an die Hochschulen“ gefordert, könnte das sichern. Der von den Bündnispartnern gemeinsam entwickelte Entwurf zur Novellierung der Berufsgesetze in der Physiotherapie sieht in der dazugehörigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (APrV) verschiedene Kompetenzbereiche für den theoretischen und praktischen Unterricht sowie die Prüfung zum Thema Zusammenarbeit vor: „Intra- und interprofessionelles Handeln in unterschiedlichen Versorgungskontexten verantwortlich gestalten und kooperativ und effektiv zusammenarbeiten“. Darauf aufbauend könnten sowohl ein gemeinsamer Unterricht als auch gemeinschaftliche Prüfungen mit Pflege- und Medizinstudentinnen erfolgen. Bei den Prüfungen bieten sich sogenannte OSCE-Prüfungsstationen (Objective Structured Clinical Evaluation) an. Dabei werden klinische Situationen mit „standardisierten Patienten“ – eingewiesene Personen – nachgestellt. Beispielsweise bei einer nachgestellten Übergabesituation könnten Mediziner und Physiotherapeutinnen gleichzeitig in ihren Fähigkeiten, bezogen auf den interprofessionellen Austausch relevanter Informationen, geprüft werden.

Die Novellierung der Berufsgesetze aller Heilmittelerbringer, die die Politik angekündigt hat, bietet hier also die Chance, etwas zu ändern. Wir werden darauf achten, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit als Kompetenzziel fest in die Ausbildung integriert wird – unabhängig davon, ob die Ausbildung an Berufsfachschulen oder an Hochschulen

Schritt 2: Kommunikation zwischen den Akteuren muss gestärkt werden

Doch wir können nicht tatenlos warten, bis interprofessionelle Zusammenarbeit selbstverständlich geworden ist, weil alle künftigen Berufsausübenden das so während ihrer Ausbildung gelernt haben. Schon jetzt müssen wir daran arbeiten, die Kommunikation zwischen den Professionen deutlich zu verbessern. Laut IMPP entstehen zwei Drittel aller Fehler im medizinischen Bereich aufgrund ungenügender Kommunikation. Hier müssen wir also gemeinsam kurzfristig ansetzen.

Ein positives Beispiel gibt es bereits aus dem Bereich der Privaten Krankenversicherungen. Dort gibt es die Leistungsposition „Physiotherapeutische Komplexbehandlung in der Palliativmedizin“. Hier ist ausdrücklich festgehalten, dass die interprofessionellen Absprachen während der Behandlungszeit stattfinden sollen. Es ist also zum einen klar geregelt, dass der Austausch stattfinden soll, und zum anderen, dass der Therapeut diesen Aufwand auch als Arbeitszeit vergütet bekommt. Dieser Grundsatz sollte auch in anderen Bereichen zur Selbstverständlichkeit werden.

Ein Mittel für mehr interprofessionelle Zusammenarbeit könnte der Austausch über Berichte sein. Bei Einführung der Heilmittel-Richtlinien gehörte eine Kurzmitteilung vom Therapeuten an den Arzt („kleiner Therapiebericht“) zu jeder Verordnung dazu. Doch das Interesse der Ärzteschaft war begrenzt, sodass er inzwischen nur noch „auf Anforderung“ erstellt wird – ein klarer Rückschritt in der interprofessionellen Kommunikation.

Positiver ist hingegen zu erwähnen, dass wir mit unserer Forderung nach einem „großen Therapiebericht“ für besondere Fälle Gehör gefunden haben. Dieser wurde als „Physiotherapeutischer Bericht auf schriftliche Anforderung“ umgesetzt. Er kann von Ärztinnen, gesetzlichen Krankenkassen und dem Medizinischen Dienst angefordert werden. Das Erstellen des Berichts wird dann vergütet.

Eine positive Entwicklung ist zudem bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zu verzeichnen. Die Ärztin kann hier neuerdings die Therapeutin um einen Anruf bitten, indem sie auf der Verordnung an der entsprechenden Stelle ein Kreuz setzt. Das Telefonat ist für die Therapeutin nicht verpflichtend, kann aber den Austausch zwischen den Professionen fördern.

Doch neben dem Therapiebericht ist auch diese Bitte um einen Rückruf höchstens ein kleiner Baustein der interprofessionellen Kommunikation. Denn Kernproblem bleibt, dass es sich in beiden Fällen um eine „one-way“-Kommunikation handelt. Warum kann die Therapeutin die Ärztin nicht um einen ausführlichen Bericht oder einen Rückruf bitten? Interprofessionelle Zusammenarbeit muss den beidseitigen Austausch ermöglichen – und zwar gleichberechtigt auf Augenhöhe.

Technische Erleichterung in der interprofessionellen Kommunikation könnte – sinnvoll genutzt – die Digitalisierung schaffen. Mit der sogenannten Telematikinfrastruktur sollen künftig alle Akteurinnen des Gesundheitswesens vernetzt werden, um ohne großen Aufwand Informationen über die Patientinnen auszutauschen – natürlich unter Einbehaltung des Datenschutzes und nur, wenn die Patientin damit einverstanden ist. Sie soll etwa entscheiden dürfen, wer Einblick in welche Bereiche ihrer elektronische Patientenakte erhält. Im Idealfall gewährt die Patientin der Physiotherapeutin nicht nur Zugriff auf die Daten, die konkret die anstehende Behandlung betreffen – also beispielsweise OP- und Reha-Berichte. Sinnvoll wäre es, wenn die Therapeutin zusätzlich Einblick in sämtliche weiteren Gesundheitsdaten hätte. Dann könnte sie bei der Ausgestaltung der Therapie zum Beispiel berücksichtigen, dass die Patientin an einem Herzfehler leidet und daher nicht zu stark trainiert werden darf – eine sehr relevante Information, die möglicherweise nicht im Bericht der Ärztin an die Therapeutin gestanden hätte. Wenn alle Akteurinnen jederzeit auf alle relevanten Informationen zugreifen können, verringert sich die Gefahr unvollständiger Kommunikation, was die Patientensicherheit deutlich stärkt.

Vorteile bietet die Digitalisierung auch für Konsile, in denen sich verschiedene Berufsgruppen mit der Situation eines Patienten beschäftigten. Zum Beispiel mittels Videotelefonie können die Akteure ortsunabhängig zusammenkommen, um die weitere Behandlung zu planen. Der direkte Austausch hilft auch, Grenzen der eigenen Kompetenzen einzuräumen und eine Kollegin einer anderen Profession niedrigschwellig um Weiterbehandlung zu bitten. Hier muss das Wohl der Patientin selbstverständlich immer an erster Stelle stehen.

Doch jegliche Form dieser Zusammenarbeit muss auch finanziell honoriert werden – und zwar in angemessener Höhe und nicht so, wie das aktuell bei der Kurzmitteilung an den Arzt der Fall ist. Die gesetzlichen Krankenkassen vergüten bei diesem „kleinen Therapiebericht“ lediglich die Porto- und Druckkosten. Die Therapeutin muss ihn also wahlweise während einer der letzten Behandlungen oder vollkommen unentgeltlich in ihrer Freizeit verfassen.

Bislang ist es also so, dass der interprofessionelle Austausch überwiegend auf dem persönlichen Engagement einzelner Akteurinnen basiert. Doch die interprofessionelle Arbeit im Sinne der Patientin muss selbstverständlich als Arbeitszeit anerkannt und somit auch entsprechend vergütet werden – und zwar egal, welcher Profession die Fachkraft angehört.

Schritt 3: interprofessionelle Zusammenarbeit in der Praxis etablieren

Die Kommunikation zwischen den einzelnen Akteurinnen ist ein wichtiger Schritt. Darauf aufbauend muss dann aber der gesamte Prozess Hand in Hand verlaufen. Oftmals lassen sich beispielsweise Operationen vermeiden, wenn Patientinnen zuvor an andere Professionen überwiesen wurden.

Ein Bericht der Deutschen Angestellten-Kasse (DAK-Gesundheit) stellt dar, dass eine frühzeitige und umfassende Versorgung mit Physiotherapie einen Gelenkersatz bei Gonarthrose verhindern kann. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik, Stephan Kirschner, hat daraufhin sogar Patientinnen motiviert, Physiotherapie bei ihrer Ärztin „einzufordern“. Ziel aller Bemühungen im Bereich der interprofessionellen Zusammenarbeit muss es sein, dass künftig niemand mehr eine zweckmäßige Therapie einer anderen Profession „einfordern“ muss. Vielmehr sollte es selbstverständlich sein, dass Patientinnen die bestmögliche Behandlung erfahren – unabhängig davon, welche Gesundheitsberufe hierzu eingesetzt werden müssen.

Wie die interprofessionelle Zusammenarbeit im ambulanten Bereich idealerweise aussehen könnte, zeigt ein Beispiel aus der Neurologie.

 

Beispiel interprofessionelle Zusammenarbeit im ambulanten Bereich

Heilmittelerbringer, Ärzte, Pflege im Bereich Neuro Erwachsene

Ausbildung:

Gleiche Kompetenz

Heilmittelerbringer, Ärzte, Pflege

in Bezug auf interprofessionelle Kernkompetenzen zu folgenden Bereichen:

  • Werte und Ethik
  • Interprofessionelle Kommunikation
  • Rollen und Verantwortlichkeiten
  • Interprofessionelle Zusammenarbeit

(Vergleich Nationales Mastercurriculum)

Beispiel: 70-jähriger Mann nach Schlaganfall

Medizinische Diagnostik Arzt

Dokumentation der Ergebnisse in digitaler Patientenakte

 

Verordnung für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie

Therapeutische Diagnostik

unter Berücksichtigung der ärztlichen Dokumentation

 

Dokumentation der therapeutischen Diagnostik in digitaler Patientenakte

Nutzung aller Kompetenzen:

  • Einsicht in die Dokumentation der anderen Professionen
  • Information untereinander unter Verwendung von KIM
  • Weiterleitung, wenn eigene fachliche Grenze erreicht ist

↓   ↑

Je nach Bedarf:

  • Interprofessionelles Videokonsil
  • Videokonsil unter Einbezug des Patienten und ggf. der Bezugsperson
  • Zwischenbefundung und Dokumentation

↓   ↑

Therapie des Patienten ggf. unter Einbezug der Bezugsperson

Je nach Bedarf:

Information untereinander, Konsil, ...

Voraussetzung:

  • Anpassung/Änderung der Berufsausbildung
  • Digitalisierung von Prozessen
  • Vergütung der Kommunikationsleistungen

 

Fazit

Damit die interprofessionelle Zusammenarbeit zur Selbstverständlichkeit wird und einen echten Mehrwert bietet, müssen drei Schritte erfolgen.

Erstens: Schon in der Ausbildung muss gelehrt werden, dass der Austausch mit anderen Berufsgruppen unabdingbar ist, wenn der Patientin die bestmögliche Behandlung zukommen soll. Dazu müssen interprofessionelle Lehrinhalte in sämtliche Ausbildungswege integriert werden, sodass jede die Kompetenzen der übrigen Berufsgruppen kennt und anerkennt.

Zweitens: Die Kommunikation zwischen den Akteuren muss sich deutlich verbessern. Die Digitalisierung birgt hier große Chancen. Ab dem 1. Januar 2026 müssen sich alle Physiotherapeutinnen verpflichtend an die Telematikinfrastruktur anbinden. Die ersten elektronischen Heilmittelverordnungen sollen dann ab dem 1. Juli 2026 Realität werden. Die Möglichkeit der digitalen Kommunikation muss aber zwingend für alle Gesundheitsakteurinnen gleichermaßen zur Verfügung stehen, gewissenhaft wechselseitig genutzt und selbstverständlich auch angemessen vergütet werden.

Drittens: Interprofessionelle Zusammenarbeit ist nicht nur Kommunikation, sondern auch Handeln. Die Möglichkeiten des Austausches müssen gelebt werden, damit sie zur Normalität werden. Dann profitieren nicht nur die Patientinnen, sondern auch alle anderen Beteiligten des Versorgungsprozesses.

 

Der Text erschien in der Zeitschrift physiotherapie (Ausgabe 3-23)

Warum wir um die Digitalisierung nicht herumkommen und nicht herumkommen wollen

Stand 1. Juli 2023

Digitalisierung ist schon längst kein Fremdwort mehr. Auch wenn oftmals nicht ganz klar ist, was dieser nebulöse Begriff eigentlich genau bedeutet. Wir haben alle eine ungefähre Vorstellung, um was es geht, wenn von „der Digitalisierung“ die Rede ist. Das hat einen guten Grund, denn aus dem Alltag sind digitale Geräte und Anwendungen schon lange nicht mehr wegzudenken. Wer besitzt kein Smartphone? Wer kommuniziert nicht täglich mit Freunden, Familie und Geschäftspartnern via WhatsApp, E-Mail und Co.? Wer hat noch nie online eingekauft? Wer hat keine smarten Haushaltsgeräte wie Staubsaugerroboter, digital gesteuerte Thermostate, Jalousien oder Beleuchtung? Ganz selbstverständlich hat sich „die Digitalisierung“ in den vergangenen Jahren in unseren Alltag eingeschlichen und uns mit ihren Vorteilen und Erleichterungen des täglichen Lebens überzeugt.

Klingt doch eigentlich gut. Geht es allerdings um die Digitalisierung des Gesundheitswesens, klingeln bei vielen die Alarmglocken. Auch bei den Heilmittelerbringern herrscht Unsicherheit, denn was Digitalisierung in und für unsere Branche bedeutet, ist für viele Kollegen nicht greifbar. Generell zeichnet sich ab, dass die Digitalisierungsbestrebungen für Heilmittelerbringer sich grob in zwei Kategorien einteilen lassen: Zum einen die Digitalisierung der Praxisverwaltung, also der organisatorischen Prozesse zum Beispiel der Kommunikation zwischen Heilmittelerbringern, Krankenkassen und Ärzten oder die Dokumentation von Verwaltungsabläufen. Zum anderen gewinnen digitale Bausteine zunehmend im Bereich der Behandlung an Relevanz, beispielsweise in der Videotherapie oder als digitale Therapieassistenten in Form von Apps.
Der IFK beobachtet die Entwicklungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen genau, auch mit einem besonderen Blick auf die Ziele, die die Politik in diesem Bereich verfolgt.

Im Dschungel der gesetzlichen Abkürzungen

DVG, DVPMG und PDSG: In den vergangenen Jahren hat die Politik einige Gesetze auf den Weg gebracht, die die verschiedenen Facetten der Digitalisierung im Gesundheitswesen ermöglichen sollen. Bereits 2015 wurden mit dem Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz) die ersten Weichen für den Aufbau der Telematikinfrastruktur (kurz TI) gestellt. Es sollte die Digitalisierung im Gesundheitswesen zum Wohle der Patienten vorantreiben und einen Fahrplan zur Einführung einer digitalen Infrastruktur darstellen. 2019 folgten das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das den Physiotherapeuten ermöglicht hat, Teil der TI zu werden, sowie das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das die Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) zur Verfügung zu stellen. Mit dem Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) wurden 2020 Fragen zum Datenschutz bei der digitalen Nutzung von Patientendaten geregelt. Das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) hat 2021 die Grundlage für den regelhaften Einsatz von Videotherapie in der Physiotherapie ermöglicht.

Allein schon die Fülle an Gesetzen – und dies sind nur die wichtigsten Beispiele – zeigt, dass die Digitalisierung in den vergangenen Jahren von „ganz oben“ konsequent vorangetrieben wurde. Dies ist auch ein Indikator dafür, dass wir uns dem digitalen Fortschritt nicht verschließen dürfen und wollen. Die Politik sieht die Digitalisierung als zentrale Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung. Dazu steht als Ziel auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) „die Gesundheitsversorgung in Deutschland auf allen Ebenen zu verbessern, die notwendigen Strukturen für ein modernes Gesundheitswesen und eine datenbasierte Medizin im Hintergrund aufzubauen und bereitzustellen, vor allem aber die alltäglichen Abläufe der Menschen leichter zu machen und für die Patientinnen und Patienten wie auch für die Ärztinnen und Ärzte und die anderen Leistungserbringer einen konkreten, erlebbaren Nutzen zu schaffen.“

Ein breites Feld der Möglichkeiten

Doch all diese Gesetzesinitiativen bedeuten nicht viel, wenn man nicht weiß, was sie für die Praxis bedeuten. Schaut man also auf den Alltag der Therapeuten, lassen sich drei Bereiche erkennen, in denen die Digitalisierung die Physiotherapie beeinflussen wird und es teilweise bereits schon tut.

1. Bürokratieabbau und administrative Erleichterungen

Eine Heilmittelverordnung ist fehlerhaft ausgestellt, was nun? Bisher galt es zu prüfen, welche Felder überhaupt geändert werden dürfen, wer dies tun kann und ob die Änderung vor Beginn der Behandlung erfolgen muss oder ggfls. nachträglich erfolgen kann. Wie schön wäre es, diese Schritte auch digital erledigen zu können! Mit der elektronischen Verordnung (eVO), die für 2026 geplant ist, soll dies kein Wunschdenken mehr sein. Auch wenn die genaue Funktionsweise noch nicht bekannt ist, setzt sich der IFK dafür ein, dass die eVO für die Physiotherapie passgenau zu unseren Bedürfnissen entwickelt wird. Denkbar wäre dabei auch eine digitale Echtzeitprüfung der Verordnung vor Behandlungsbeginn durch die Krankenkassen, sodass die Gefahr von Absetzungen signifikant reduziert werden könnte. Der Verwaltungsaufwand für die Praxen – Prüfung der Verordnung, Rücksprache mit dem Arzt zwecks Korrekturen und etwaige Abstimmung – könnte sich dadurch erheblich verringern. Die Entbürokratisierung der Praxisabläufe ist kein Selbstzweck. Viel mehr ermöglichen effizientere Verwaltungsabläufe Therapeuten letztendlich, sich auf das zu konzentrieren, was ihre eigentliche Aufgabe ist: die Therapie. Sind die administrativen Vorgänge gestrafft, bleibt mehr Zeit für Behandlungen, mehr Zeit für den Patienten. Der IFK setzt sich daher stets dafür ein, dass digitale Anwendungen so geplant und umgesetzt werden, dass sie für die Physiotherapiepraxen auch tatsächliche Erleichterungen bringen. Wir möchten diesen Prozess unterstützen, gleichzeitig aber auch unsere Mitglieder auf die anstehenden Umstellungen vorbereiten, damit der Umstieg auf die TI für sie so einfach und stressfrei wie möglich abläuft.

2. Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit

Der Mehrwert von interprofessioneller Zusammenarbeit ist unbestritten (mehr dazu lesen Sie im Artikel „Interprofessionelle Zusammenarbeit“ in der „physiotherapie“ Ausgabe 3-23). Um die Zusammenarbeit der Akteure im Gesundheitswesen zu fördern, wird mit der TI derzeit in Deutschland eine digitale Plattform für Gesundheitsanwendungen aufgebaut. Ziel ist es, die Beteiligten im Gesundheitswesen wie Ärzte, Heilmittelerbringer, Krankenhäuser und Krankenkassen zu vernetzen und so die Versorgung der Patienten zu verbessern. Zahlreiche (geplante) Anwendungen werden nacheinander eingeführt und für die einzelnen Akteure verpflichtend. Die Anwendung „KIM“ (kurz für Kommunikation im Medizinwesen) ist beispielsweise eine der ersten TI-Anwendungen, die bereits im Einsatz ist und von allen Akteuren, die auf die TI zugreifen können, genutzt werden kann. Sie sorgt für den sicheren Austausch von sensiblen Informationen über die TI. Im Prinzip ähnelt KIM dem gewöhnlichen Versand via E-Mail, jedoch sind die Sicherheitsstandards weitaus höher. Mit dem TI-Messenger (TIM) sollen die Akteure zudem zukünftig – ähnlich wie per SMS oder WhatsApp – auf kurzem Weg, aber datenschutzsicher miteinander kommunizieren können.

Was bedeutet das für uns Physios? In erster Linie wird uns die TI ermöglichen, enger und effizienter mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens zusammenzuarbeiten. Kurznachrichten zum Beispiel an Ärzte für Rückfragen zur verordneten Medikation, Informationen über vorliegende Laborbefunde oder Rückrufbitten werden über TIM einfacher verschickt, als wenn man dem behandelnden Arzt ewig hinterhertelefonieren muss. Alle Beteiligten können Nachrichten beantworten, wenn sie Zeit haben und müssen nicht erst umständlich einen Termin abstimmen. Für uns als Verband ist daher wichtig im Auge zu behalten, dass die Heilmittelerbringer im Rahmen der TI die gleichen Kompetenzen und Rechte erhalten, wie beispielsweise die Ärzteschaft. Nur so kann die Digitalisierung Zusammenarbeit auf Augenhöhe ermöglichen.

3. Ergänzung der Therapie

Nicht nur im Hintergrund, sondern auch in der Therapie selbst kann die Digitalisierung einen Mehrwert bieten. Erster Kontaktpunkt für Therapeut und Patient sind in diesem Fall die sogenannten „Digitale Therapieassistenten“. In der Regel handelt es sich dabei um eine App für das Smartphone oder ein Programm für den Computer. Diese sollen den Nutzer bei der Behandlung unterstützen, im Bereich der Physiotherapie beispielsweise mit Anleitungen für Übungen, die der Patient allein zuhause durchführen kann. Bei den Apps muss unterschieden werden, ob sie direkt vom Arzt verordnet oder von der Krankenkasse angeboten wird, ohne dass notwendigerweise eine begleitende physiotherapeutische Behandlung erfolgt („Digitale Gesundheitsanwendung“, kurz DiGA), oder ob sie im Rahmen einer regulären Physiotherapie therapiebegleitend eingesetzt wird.

Anders als bei der DiGA ist der Einsatz von Therapie-Apps innerhalb der physiotherapeutischen Therapie jedoch noch nicht in der regelhaften Patientenversorgung angekommen. Die maßgeblichen Physiotherapieverbände müssen noch mit dem GKV-Spitzenverband über die Eckpunkte zur Umsetzung verhandeln und diese vertraglich festsetzen. Aktuell ist jedoch hierzu noch kein zeitlicher Rahmen absehbar, denn es fehlt unter anderem an Erfahrungswerten, welchen Mehrwert solche Apps tatsächlich in der Physiotherapie haben, welche positiven Behandlungseffekte auf Seiten der Patienten erzielt werden können und wie Apps zeitlich in den Behandlungsablauf integriert werden können. Auch gilt es zu erforschen, ob zusätzliche Aufwände für Therapeuten entstehen und wie diese vergütet werden müssten. In Pilotprojekten setzt der IFK sich dafür ein, diese und andere offene Fragen rund um therapiebegleitende Apps zu untersuchen.

Nehmen Therapie-Apps uns Physiotherapeuten die Arbeit weg? Ein klares Nein. Ein großer Vorteil liegt natürlich in der zeitlichen Planung der Therapie. Mit einer App kann der Patient entscheiden, wann er beispielsweise die Übungen macht, und muss nicht auf einen Termin in der Physiotherapiepraxis warten. Vor allem im ländlichen Raum, wo öfter eine schlechte Versorgung in der Physiotherapie herrscht, ist dies mehrwertig. Daneben sind Apps eine sinnvolle Unterstützung bei der Durchführung häuslicher Übungsprogramme.

Entscheidender Punkt in der herkömmlichen Therapie ist aber immer die Interaktion zwischen Patient und Therapeut. Therapie ist individuell und muss dementsprechend an das Leistungsniveau des Patienten angepasst werden. Eine solche Interaktion muss auch bei der Anwendung einer App gesichert sein. Wenn wir digitalisieren, darf das nicht verloren gehen! Ziel des IFK in dieser Diskussion ist daher, dass neue Technologien wie Therapie-Apps nur da eingesetzt werden, wo sie sinnvoll sind. Als Richtschnur gilt: Die App ersetzt nicht den Therapeuten/die Therapie, sondern ergänzt sinnvoll.

Bei DiGA auf Rezept, die übrigens vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen werden müssen, gilt ähnliches. Diese haben auf den ersten Blick gewisse Vorteile: Angesichts des Fachkräftemangels und der ausgebuchten Terminkalender müssen Patienten nicht erst auf einen freien Termin bei ihrem Physiotherapeuten warten, um Hilfe für ihre Beschwerden zu bekommen. Allerdings fehlen bislang noch aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit von DiGA, die gänzlich ohne eine begleitende Physiotherapie genutzt werden. Die „Apps auf Rezept“ dürfen daher keinesfalls als gleichwertiger Ersatz zu einer physiotherapeutischen Behandlung gesehen werden, höchstens als Überbrückung, bis ein Therapieplatz zur Verfügung steht.

Eine Informationsquelle für alle Beteiligten

In der elektronischen Patientenakte (ePA), dem Herzstück der Digitalisierung im Gesundheitswesen, fließen alle drei Bereiche zusammen. In der Vergangenheit haben die Leistungserbringer die Daten ihrer Patienten jeder für sich dokumentiert und gespeichert. Mit der ePA soll künftig nur noch eine digitale Akte für den Patienten angelegt werden, die von allen Leistungserbringern gefüllt und eingesehen werden kann – vorausgesetzt natürlich, der Patient wünscht dies und gibt den entsprechenden Leistungserbringern seine Einwilligung. Die ePA soll also zu einer wichtigen Informationsquelle für die Behandlung von Patienten werden. Therapeuten hätten durch unkomplizierten Zugriff auf die medizinischen Daten ihrer Patienten administrative Erleichterungen, bei der Abstimmung mit behandelnden Ärzten könnten medizinische Dokumente, wie hinterlegte Arztbriefe und Befunde, einfacher eingesehen werden und eine lückenlose Behandlungshistorie von Patienten böte Therapeuten die Chance, besondere Gegebenheiten zu erkennen und die Therapie entsprechend anzupassen.

Bringt’s was oder bleiben lassen?

Schon nach diesen wenigen Absätzen lässt sich erkennen, das Thema Digitalisierung ist komplex. Vor allem im Gesundheitswesen, in dem viele Akteure miteinander interagieren, scheint eine erfolgreiche Digitalisierung ein Mammutprojekt zu sein. Doch mit zahlreichen Gesetzesinitiativen hat sich die Politik in der jüngeren Vergangenheit auf den Weg gemacht, diese Aufgabe zu bewältigen. Wichtig ist bei allen Bestrebungen, im Blick zu behalten, dass Digitalisierung nicht zwangsweise Abläufe vereinfacht. Sie bietet jedoch die Chance, Prozesse neu zu überdenken und zu verbessern.

Mit der Telematikinfrastruktur wird ein richtiger und wichtiger Schritt in diese Richtung gegangen. Die Vernetzung der Akteure im Gesundheitswesen ist schon lange überfällig und bietet die Chance, die Gesundheitsversorgung der Zukunft an wesentlichen Punkten zu verbessern. An einigen Stellen ist die Politik noch in der Bringschuld, vor allem, wenn es um die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen geht. Wir als Verband sind beispielsweise gespannt, ob die Physiotherapeuten tatsächlich 2026 elektronische Verordnungen erhalten werden. Die Aussicht auf die Verbesserungen, die wir durch die Digitalisierung erwarten können, stimmt jedoch positiv.  

Der Text erschien in der Zeitschrift physiotherapie (Ausgabe 4-23)

Mehr Zeit zum Behandeln 

Warum Bürokratieabbau im Heilmittelbereich dringend notwendig ist

Stand 1. Januar 2024

Deutschland ist ein Bürokratieland. Jeder, der sich schon einmal nach einem Umzug ummelden oder einen neuen Reisepass beantragen musste, kann das nachvollziehen. Aber auch in der täglichen Arbeit – gerade von uns Praxisinhaberinnen – ist Bürokratie allgegenwärtig. Will man Bürokratie abbauen, ist das Ziel klar: Einheitlichkeit schaffen, feste Strukturen und sinnvolle Regeln etablieren, die die Zusammenarbeit erleichtern. Häufig ist aber das genaue Gegenteil der Fall. Die Bürokratie lähmt uns. Praxisinhaber verbringen mehr Zeit am Schreibtisch, um dem Bürokratieberg Herr zu werden und haben immer weniger Zeit, um selbst zu behandeln. Je mehr Bürokratie vor und nach der Behandlung anfällt, desto weniger Zeit bleibt für die Physiotherapie selbst. Das schwächt einerseits die Versorgungslage, weil dringend benötigte Behandlungskapazitäten dadurch nicht zur Verfügung stehen. Andererseits schwächt es den wirtschaftlichen Praxisbetrieb, weil weniger behandelt werden kann und der bürokratische Aufwand nicht vergütet wird. Auch unsere Mitarbeiter sind von der zunehmenden Bürokratie betroffen – und darunter leidet die Attraktivität unseres schönen Berufs.

Ein erster Schritt

Im Sommer 2020 stieß der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Dialogprozess zum Bürokratieabbau im Heilmittelbereich an. Mit dabei waren neben Vertretern des Gesundheitsministeriums auch die Heilmittelerbringer sowie Beauftragte der Krankenkassen und Ärzteschaft. Minister Spahn definierte das Ziel dieses Prozesses damals folgendermaßen: „Gemeinsam unnötige bürokratische Belastungen der Heilmittelversorgung zu identifizieren und Handlungsempfehlungen für deren Abbau zu entwickeln.“ Ein hehres Ziel und eine Forderung, der sich der IFK gern anschloss. Leider wurde dieser vielversprechende Prozess nach der Bundestagswahl 2021 und dem Wechsel des Bundesgesundheitsministeriums in die Hand der SPD unter Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach nicht weitergeführt.

Kleine Erfolge reichen nicht

Etwas Erleichterung in Sachen Bürokratie gab es trotzdem: Mit Inkrafttreten der neuen Heilmittel-Richtlinie zum 1. Oktober 2020 fiel beispielsweise die Unterscheidung zwischen Erstverordnung, Folgeverordnung und der Verordnung außerhalb des Regelfalls weg. Anstelle des Regelfalls trat der Verordnungsfall. Dadurch gibt es beispielsweise keine Absetzungen mehr aufgrund einer falschen Verordnungsart – etwa einer Erstverordnung, obwohl es sich um eine Folgeverordnung gehandelt hat. Sollte das Therapieziel im Rahmen der im Heilmittelkatalog vorgegebenen „orientierenden Behandlungsmenge“ nicht erreicht werden, kann der Arzt nun für diesen Versorgungsfall eine neue Verordnung ausstellen. Damit wird der Verordnungsfall fortgesetzt und auch entsprechend vergütet. Auch die Zusammenfassung der Diagnosegruppen (zum Beispiel WS1 und WS2 zu WS) stellte für unsere tägliche Arbeit in der Praxis eine Erleichterung dar.

Es ist immer schwierig, ein sich über lange Zeit entwickelndes System zu verändern. Veränderungen sind aber nötig, wenn die Praxisrealität täglich zeigt, dass das bürokratische System der Heilmittel-Richtlinien die Arbeit am Patienten einschränkt. Die Umsetzung der von uns geforderten Veränderungen ist insofern ein Lichtblick. Diese kleinen Schritte sind aber nicht ausreichend!

Mit dem Bundesrahmenvertrag 2021 sind weitere spezifische Erleichterungen für die Physiotherapie erreicht worden. Ein Beispiel ist die Vereinfachung der Unterbrechungsfristen. Vor Inkrafttreten des Bundesrahmenvertrags gab es in jedem Bundesland und je nach Krankenkasse unterschiedliche Fristen zu beachten. Nun gilt einheitlich für alle Kassenarten und in allen Bundesländern: Eine Verordnung über sechs Einheiten ist drei Monate lang gültig. In diesem Zeitraum kann die Behandlung – wenn es begründet werden kann – beliebig lang unterbrochen werden. Am Rande: Dies bedeutet nicht nur eine Erleichterung bezogen auf die Bürokratie, sondern auch eine Flexibilisierung der Therapie bezogen auf die Frequenz der Behandlungen in diesem Zeitraum.

Die Sache mit der Prüfpflicht

Trotz der neuen Heilmittel-Richtlinie und geänderter vertraglicher Regelungen müssen wir Physiotherapeuten in unserer täglichen Arbeit noch immer viel Zeit aufbringen, um bürokratische Hindernisse zu überwinden. Gerade die Prüfpflicht der Verordnungen führt zu vielen, auch wirtschaftlichen, Problemen. In der IFK-Mitgliederberatung werden regelmäßig Fälle von Absetzungen der Krankenkassen bearbeitet, die aufgrund von Fehlern beim Ausstellen der Verordnung entstanden sind. Die Verordnung auf Korrektheit zu prüfen, ist laut eines Urteils des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2009 Aufgabe des behandelnden Physiotherapeuten. In der Praxis bedeutet dies zusätzliche – unvergütete – Arbeit. Eine fehlerhaft ausgestellte Verordnung schafft Unmut auf allen Seiten, also beim Patienten, beim Verordner sowie beim Therapeuten. Wenn es sich um einen Fehler handelt, der nur vom Arzt korrigiert werden kann, entsteht für alle Beteiligten ein großer Aufwand. Problematisch ist das vor allem deshalb, weil es jeden Tag in der Praxis vorkommt.

Bereits im Dialogprozess 2020 haben wir von der Politik gefordert, dass Fehler beim Ausstellen der Verordnung nach dem Verursacherprinzip geahndet werden müssen. Physiotherapeuten dürfen nicht für die Fehler von Ärzten verantwortlich gemacht werden! Die Politik hatte dieses Problemfeld aufgegriffen. So sollte die Praxisverwaltungssoftware von Ärzten zukünftig so gestaltet sein, dass fehlerhafte Verordnungen nicht mehr ausgestellt werden können. In der Praxis funktioniert dies aber nicht, weil Fehlermeldungen einfach übergangen werden können. Die weitere Digitalisierung des Gesundheitswesens könnte hier sicher Abhilfe schaffen. Dafür ist es aber notwendig, dass die Leistungserbringer in die Entwicklung digitaler Anwendungen eingebunden werden, die sie unmittelbar oder mittelbar betreffen. Damit könnte sichergestellt werden, dass Fehlentwicklungen, wie wir sie hinsichtlich der Heilmittelverordnung bei der Praxisverwaltungssoftware von Ärzten wahrnehmen, nicht entstehen.

Ein kurzzeitiges Aufatmen

Während der Hochphase der Corona-Pandemie wurde den gesetzlichen Krankenkassen klar, dass der Prüf- und Korrekturaufwand in der täglichen Praxis aufgrund der allgemeinen Situation nicht mehr leistbar war. Um das Versorgungssystem aufrecht zu erhalten, wurden vom GKV-Spitzenverband in dieser Zeit regelmäßig Sonderregelungen zur Erleichterung erlassen. So wurden Verordnungen seitens der Krankenkassen nur auf einige Details geprüft. Änderungen auf der Verordnung durften bis auf wenige Ausnahmen auch ohne Arztrücksprache durch den Leistungserbringer erfolgen. Einige Erleichterungen wurden darauf basierend in die neuen Heilmittel-Richtlinien übernommen, aber leider nicht alle.

Viele Mitglieder haben uns in dieser Zeit gespiegelt, dass die Anzahl der Absetzungen aufgrund fehlerhafter Verordnungen deutlich zurückging. Das war für uns eine positive Entwicklung, weil es eine deutliche Vereinfachung des Praxisalltags darstellte. Doch nachdem die Pandemie abflaute, wurde auch die Prüfung durch die Kassen wieder restriktiver. Das ist eine Entwicklung in die falsche Richtung, denn die wirtschaftlichen Folgen dieser restriktiven Vorgehensweisen spürt jeder Praxisinhaber. Wir werden nicht müde, dieses Problemfeld weiterhin mit dem GKV-Spitzenverband, in konkreten Fällen mit einzelnen Kassen, aber auch mit der Politik zu besprechen und unsere Forderungen vorzubringen.

Zeit für Zuzahlung

Mit dem Bundesrahmenvertrag haben wir es geschafft, auch das Verfahren beim Thema Zuzahlung zu vereinfachen: Zuvor kam es bei der Abrechnung mit den Krankenkassen zu enormen Verzögerungen, wenn Patienten ihre Zuzahlung nicht leisteten. Der Grund war, dass erst nach Beendigung der kompletten Behandlungsserie schriftlich zur Zahlung aufgefordert werden konnte. Seit 2021 können Praxen die Patienten bereits ab dem zweiten Tag der Behandlung zur Zahlung auffordern und so das Verfahren beschleunigen.

Auch wenn die Zuzahlungsregelungen mit dem bundesweiten Rahmenvertrag vereinfacht wurden, führen sie in der Praxis – gerade bei neuen Patienten – häufig zu Erklärungsbedarf und Diskussionen. Das schränkt Behandlungskapazitäten ein. Ein sinnvollerer Weg würde darin bestehen, wenn Kostenträger sich direkt an ihre Versicherten wenden, um eine Zuzahlung einzufordern.

Bereits Ende 2012 wurde die 2004 eingeführte Praxisgebühr beim Arztbesuch durch einen Bundestagsbeschluss mit den Stimmen aller Fraktionen wieder abgeschafft. Der Einzug dieser Gebühr sei ein zu hoher bürokratischer Aufwand für die Arztpraxen, hieß es. Hier darf nicht weiter mit zweierlei Maß gemessen werden. Die Politik muss zur Kenntnis nehmen, dass dieser Aufwand auch in der Physiotherapie unverhältnismäßig ist.

Es gibt aber auch, Erfolge zu verzeichnen, zum Beispiel in Bezug auf die Befreiungsregelungen. Praxen können sich heute auf den Zuzahlungsstatus verlassen, der auf der Verordnung angegeben ist, und müssen diesen nur noch zum Jahreswechsel überprüfen.

Kein Blick in die Glaskugel – konkrete Forderungen für konkrete Ergebnisse

Und wie geht es nun weiter? Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung steht: „Durch ein Bürokratieabbaupaket bauen wir Hürden für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten ab. Die Belastungen durch Bürokratie und Berichtspflichten jenseits gesetzlicher Regelungen werden kenntlich gemacht. Wir verstetigen die Verfahrenserleichterungen, die sich in der Pandemie bewährt haben.“ Das Bundesgesundheitsministerium nimmt sich dementsprechend derzeit wieder dem Thema Bürokratieabbau an und hat in diesem Zusammenhang kürzlich ein Eckpunktepapier zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen veröffentlicht. Darin adressiert das Ministerium Problemfelder in nahezu allen Bereichen des Gesundheitswesens – vom ambulanten und stationären Sektor, über den Arzneimittel- und Hilfsmittelbereich, die Langzeitpflege, die Digitalisierung bis hin zu Maßnahmen mit einem europäischen/internationalen Bezug. Für alle genannten Bereiche hat das BMG umfangreiche Maßnahmen vorgesehen, Bürokratie abzubauen und somit mehr Zeit für die Versorgung der Patienten bzw. Pflegebedürftigen zu schaffen. Diese Maßnahmen reichen von kleinteiligen Regelungen wie der Flexibilisierung der Öffnungszeiten von Apotheken bis zu großen Maßnahmenpaketen wie der Entbürokratisierung im Rahmen der Krankenhausreform. Die Heilmittelerbringer wurden in dem Eckpunktepapier des BMG leider nicht bedacht.

Als IFK, aber auch im Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) fordern wir eine deutliche Reduzierung des bürokratischen Aufwands. Aus unserer Sicht gehört die Pflicht, Zuzahlungen einzuziehen, abgeschafft. Die komplexen Prüfpflichten zu Verordnungen sollten auf den Verursacher übertragen werden. Die geplante eVerordnung muss so gestaltet werden, dass wesentliche Probleme, die derzeit im Zuge der Ausstellung entstehen, der Vergangenheit angehören. Hierbei muss also darauf geachtet werden, dass die e-Verordnung keine digitale Variante des derzeitigen analogen Verordnungsprozesses wird. Wesentliche Problemfelder des analogen Prozesses müssen digital besser gestaltet werden, um den Bürokratieaufwand für Verordner, Leistungserbringer und Patienten zu reduzieren.

Wir als Verband und Interessenvertretung unserer Mitglieder werden unsere Forderungen weiterhin an die Politik adressieren und verdeutlichen. Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach hat für diese Legislaturperiode neben der Reform der Ausbildung in der Physiotherapie auch ein Modellvorhaben zum Direktzugang angekündigt. Das sind wichtige Themen für die Zukunft unseres Berufs. Trotzdem darf das Thema Bürokratieabbau nicht in Vergessenheit geraten.

Derweil kann ein Blick in die – hoffentlich nicht allzu weite – Zukunft nicht schaden. Mit dem Ausbau der Telematikinfrastruktur und der elektronischen Verordnung, die mittlerweile für 2027 angekündigt ist, könnte das Zusammenspiel zwischen Ärzten, Heilmittelerbringern und Krankenkassen enorm vereinfacht werden (mehr dazu lesen Sie im Artikel „Warum wir um die Digitalisierung nicht herumkommen – und nicht herumkommen wollen“ in der „physiotherapie“ Ausgabe 4-23). Bis wir dort angekommen sind, wo uns die Digitalisierung die Arbeit erleichtert und der Bürokratieberg bezwingbar klein geworden ist, wird es vermutlich noch ein längerer Weg sein. Aber wir arbeiten kontinuierlich daran, damit unser Beruf weiterhin attraktiv bleibt und wir ihm mit Freude nachgehen können.

Top drei Forderungen des IFK zum Bürokratieabbau

  • Prüfpflicht für Ärzte:
    Die Heilmittelerbringer dürfen nicht die Kontrollstelle der Ärzteschaft sein. Die Ärzte müssen die (finanzielle) Verantwortung dafür tragen, wenn sie nicht korrekte Verordnungen ausstellen.
  • Zuzahlungseinzug durch die Krankenkassen:
    Im SGB V muss verankert werden, dass die Krankenversicherungen die Zuzahlung selbst von ihren Versicherten einziehen.
  • Die Digitalisierung als Entbürokratisierungsmotor:
    Mit der flächendeckenden Einführung von Anwendungen der Telematikinfrastruktur müssen bürokratische Prozesse für alle Akteure im Gesundheitswesen erleichtert werden.

Der Text erschien in der Zeitschrift physiotherapie (Ausgabe 1-24)

Dr. Björn Pfadenhauer

Geschäftsführer
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