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IFK-Interview zur Bundestagswahl: Bettina Müller, SPD

In der SPD-Bundestagsfraktion ist Bettina Müller zuständig für Gesundheitsberufe sowie die Themen ärztlich und pflegerische Versorgung auf dem Land. Im IFK-Interview zur Bundestagswahl am 26. September 2021 hat sie über gesundheitspolitische Themen, die die selbstständigen Physiotherapeuten betreffen, gesprochen. 

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Selbstständige Physiotherapeuten sind ein wesentlicher Bestanteil der ambulanten Gesundheitsversorgung in Deutschland. Das Lohnniveau in der Physiotherapie ist jedoch seit Jahren viel zu gering. Das belastet gerade ambulante Physiotherapiepraxen und führt dazu, dass eine flächendeckende ambulante Versorgung mit Physiotherapie – insbesondere fern der großen Zentren – akut bedroht ist. Wie können Ihrer Meinung nach Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit in der ambulanten Physiotherapie hergestellt werden?
Bettina Müller: Wir haben in der abgelaufenen Wahlperiode – nach langen Jahren des Stillstands – mit dem Wegfall der Grundlohnsummenbindung, dem Anheben auf bundesweite Höchstpreise, der Verlagerung der Preisverhandlung auf die Bundesebene und vielen weiteren Einzelregelungen die Rahmenbedingungen für die Vergütung der Heilmittelerbringer maßgeblich verbessert. Diese Vorgaben müssen von den Vertragspartnern im Rahmen der Selbstverwaltung genutzt werden. Auch wenn der Start zugegeben holprig war, werden bundeseinheitliche Preise und zentrale Verhandlungen statt regionaler Fragmentierung die Position der Heilmittelerbringer künftig deutlich stärken. Erst recht, wenn es endlich gelingt, die Zusammenarbeit in der gesundheitlichen Versorgung neu zu ordnen, die Aufgaben neu zu verteilen und Sektorengrenzen zu überschreiten. Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit in der ambulanten Physiotherapie hängen für mich auch vom Ausbau teambasierter Formen der ambulanten Versorgung ab, bei der die Therapeuten, die, anders als die Ärzte, in der Fläche noch gut vertreten sind, eine viel stärkere Rolle spielen und besser eingebunden werden müssen.

 

 

Wie stehen Sie zu der Forderung des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK), Patienten den Direktzugang zur Physiotherapie zu ermöglichen?
Bettina Müller: Der Weg in den Direktzugang ist unausweichlich und sollte möglichst schnell politisch gestaltet werden. Ich selber habe dazu in zahlreichen Gesetzgebungsverfahren immer wieder Modellversuche und Pilotprojekte gefordert, aber der Widerstand im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und beim Koalitionspartner war bislang zu groß. Die Blankoverordnung kann nur ein erster Schritt sein, der im urbanen Umfeld sicher auch gut und lange funktionieren wird. Im ländlichen Raum mit seiner immer geringer werdenden Facharztdichte und den weiten Wegen macht die Blankoverordnung aber schon bald keinen Sinn mehr. Hier kann der Direktzugang im Zusammenspiel mit der Neuordnung der Zusammenarbeit der Gesundheitsfachberufe in der ambulanten Versorgung für spürbare Verbesserungen sorgen. Bis dahin müssen noch offene Fragen etwa zur Mengenregulierung, zu Budgets, Ausbildungsinhalten und so weiter geklärt werden. Dazu wären Modellversuche und Pilotprojekte gut geeignet, die politisch schnell aufs Gleis gesetzt werden müssten. Umsetzung und Auswertung dauern dann ohnehin noch lange und es gibt keinen politischen Automatismus, der im Direktzugang mündet. Daher ist die Angst vor solchen Versuchen unbegründet. Wir müssen die Zeit nutzen, ehe Strukturen wegbrechen. Der Weg in den Direktzugang ist für mich – neben der Reform der Berufsgesetze – ganz wichtig in der neuen Wahlperiode.

 

 

Die Telematik-Infrastruktur (TI) wird in Kürze unter anderem die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren im Gesundheitssystem erleichtern. Wie sehen Sie in diesem – digitalen – Gefüge die Rolle der Physiotherapeuten? Setzen Sie sich mit dem IFK dafür ein, dass Physiotherapeuten von Anfang an gleichberechtigte Partner in dieser interprofessionellen Zusammenarbeit sein werden – beispielsweise indem sie volle Lese- und Schreibrechte bei der elektronische Patientenakte erhalten?
Bettina Müller: Grundsätzlich bin ich dafür – aber natürlich nur im Rahmen des Rechtemanagements, das die Patientin oder der Patient jeweils vergibt. Jetzt werden nach und nach die einzelnen Leistungserbringergruppen in die Telematikinfrastruktur eingebunden, auch in die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA). So bekommen Hebammen die Möglichkeit, weitere wichtige Daten zur Schwanger- und Mutterschaft, die über die Daten des elektronischen Mutterpasses hinausgehen, in der ePA zu dokumentieren. Da sollten Physiotherapeuten nicht hinten anstehen, zumal die Dokumentation der Behandlung im Zuge der Umsetzung der Blankoverordnung zusätzlich an Bedeutung gewinnen wird. Interprofessionelle Zusammenarbeit sollte auch bedeuten, digital auf Augenhöhe zu agieren.

 

 

Digitale Gesundheitsanwendungen, also zum Beispiel therapieunterstützende Apps, sind derzeit auf dem Vormarsch. Zum jetzigen Zeitpunkt können diese aber lediglich von Krankenkassen, Ärzten und Psychotherapeuten ausgegeben, also verordnet werden. Unterstützen Sie die Forderung des IFK, dass dieses Recht auf Physiotherapeuten ausgeweitet werden sollte?
Bettina Müller: Vergleichbar wie bei Medikamenten sollte es mittelfristig auch eine Grundlage für verschreibungsfähige Apps geben. Darin müssen auch die Voraussetzungen für eine Verordnung geregelt sein – etwa was erlernte Kenntnisse zu Wirkung/Einsatzmöglichkeiten angeht. Dann ist es durchaus denkbar, dass je nach Art der App auch Physiotherapeuten diese verordnen könnten.

 

 

Das Berufsgesetz, auf dem die Ausbildung der Physiotherapeuten basiert, muss dringend überarbeitet werden. Ziel muss aus Sicht des IFK neben einer grundlegenden Modernisierung der Ausbildungsinhalte auch die Überführung in eine vollständig akademische Ausbildung aller Heilmittelerbringerberufe sein. Wie stehen Sie dazu?
Bettina Müller: Die SPD hätte schon in der vergangenen Wahlperiode gerne die seit 2010 modellhaft – und aus unserer Sicht auch erfolgreich – erprobte hochschulische Ausbildung in den Therapieberufen als Regelausbildung verankert. Auch in dieser Wahlperiode kam es wegen der verspäteten Vorlage der Bund-Länder-Empfehlungen, dem Vorziehen anderer Professionen und der Pandemie nicht zu der großen Berufsrechtsreform, die möglich gewesen wäre. Immerhin konnte die SPD ein Verschieben in die übernächste Wahlperiode verhindern. Für mich steht fest: Das „Spiel mit der Modelleisenbahn“ muss gleich zu Beginn der nächsten Wahlperiode endlich beendet werden. Die Ausbildung in den Therapieberufen braucht eine klare und verlässliche Perspektive. Dazu gehören die Modernisierung der Ausbildungsinhalte und das Ziel einer vollständig hochschulischen Ausbildung, für die wegen der großen Zahl der von den Ländern zu schaffenden Studienplätze Finanzierungsfragen und Übergangsphasen geklärt werden müssen. Das Beispiel der Hebammenausbildung hat gezeigt, dass man nicht einfach zu einem Stichtag den Schalter umlegen kann.

 

 

Die wirtschaftlichen Schäden durch die Corona-Pandemie wirken sich auch auf die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus. Die GKV finanziert sich überwiegend durch Beiträge und einen jährlichen Bundeszuschuss. Wie möchten Sie dafür sorgen, dass hier auch in den kommenden Jahren verlässliche Zahlungsgrößen und vor allem Kontinuität garantiert werden können?
Bettina Müller: Unser Gesundheitssystem muss durch Steuerzuschüsse und Investitionsmittel stabil und solidarisch finanziert werden. Um das hinzubekommen, werden wir um eine Bürgerversicherung, die Beamte und Selbstständige mit einbezieht, nicht herumkommen. Die SPD will das mit klaren Zielvorgaben für die Reform des Systems verbinden. Dazu gehört für mich auch eine bessere Zusammenarbeit der Professionen und die Neuverteilung der Aufgaben unter Einbeziehung der Therapieberufe.

 

 

Nicht zuletzt die ungewisse Situation nach dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 hat verdeutlicht, dass das Unternehmerrisiko ein nicht zu unterschätzender Faktor für selbstständige Physiotherapeuten ist. Praxisinhaber müssen die Möglichkeit haben, für das Alter vorzusorgen, ohne dass dieses Vermögen zum Beispiel während Krisenzeiten oder im Krankheitsfall zum Ausgleich von Erwerbsausfall herangezogen werden muss. Dennoch gibt es einzelne politische Bestrebungen, die dieses sogenannte „Schonvermögen“ Selbstständiger angreifen möchten. Wie stehen Sie dazu?
Bettina Müller: Als Sozialdemokratin bin ich eher dafür, Selbstständige in die Sozialversicherungssysteme zu integrieren. Das gilt für die Kranken- und Pflegeversicherung in Form der Bürgerversicherung. Aber auch in der Altersvorsorge würde das Einbeziehen von Selbstständigen in die gesetzlichen Systeme Vorteile bringen. In Form der geplanten Altersvorsorgepflicht war das ja in dieser Wahlperiode eigentlich sogar fest vereinbart. Dabei geht es neben der Absicherung im Alter auch um Schutz für Hinterbliebene und bei Erwerbsminderung.

 

 

Die Aussagen von Bettina Müller stellen ihre persönliche Meinung dar.
 

 

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